Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
Alduin.
»Ja«, sagte Gilian.« Aber weißt du, er hat sein Leben nicht wirklich aufgegeben. Er hat nur seine eigentliche Natur verloren, nachdem er eins mit Krath wurde.«
»Warum habt Ihr es zugelassen?«, wollte Alduin wissen.
»Es war seine Entscheidung. Jeder hat die freie Wahl, so zu leben, wie er will, und das zu erfahren, was er möchte. Die Götter werden niemanden davon abhalten.«
Alduin ließ sich Gilians Worte durch den Kopf gehen, ehe er fortfuhr.
»Und das erklärt, weshalb Cal nicht gealtert ist?«
»Du hast recht. Es hat seinen Körper verlassen, aber sein menschliches Leben ist dadurch nicht beendet worden. Es schwebte im Nichts.«
»Und jetzt? Rael sagt, dass die Zeit ihn einholt und er vor jedermanns Augen altert.«
»Ja. Krath war, ungeachtet der Hoffnungen und Bemühungen deines Vaters, sterblich. Als seine Zeit gekommen war und sein Geist weiterzog, konnte er Cal nicht mitnehmen, denn er gehörte dort noch nicht hin.«
»Also wird es ihm wieder gut gehen?«, fragte Alduin.
Gilian lächelte.
»Ja, sei nicht besorgt. Cal hat mittlerweile einige wichtige Dinge verstanden. Es wird eine Weile dauern, bis er sich wieder daran gewöhnt, Mensch zu sein. Aber es wird ihm gelingen.«
Plötzlich verstand Alduin, und er sog hörbar die Luft ein. »Dann hätte ich gar nicht herkommen müssen«, sagte er. »Dass ich hier bin, wird nichts an Cals Zustand ändern.«
»Ich habe dir doch gesagt, deine eigentliche Frage lautet anders als die, die du zu haben glaubtest. Und auch der Grund, weshalb du hergekommen bist, ist ein anderer.«
»Aber Ihr wart es, der mich hergeführt hat!«, rief Alduin aus.
»Ja, nur weil du darum gebeten hast«, gab Gilian zurück.
»Ich habe um nichts gebeten«, setzte Alduin an und schluckte den Rest der Worte herunter. Mit einem Mal war ihm klar, welche Frage er hatte. Seit der ersten Verbindung mit Rihscha war sie in ihm gereift mit den einzigartigen Erfahrungen, die er und sein Falke teilten. Es war ihm bewusst, dass die Gabe des Bundes mit dem Falken weitaus mehr war, als nur durch seine Augen zu sehen. Er hatte die Fähigkeit der Voraussicht von seiner Mutter geerbt. So konnte er mit anderen Falken an andere Orte und in andere Zeiten reisen. So konnte der Bund vielleicht sogar die Eröffnung unbegrenzter Möglichkeiten bedeuten.
»Die Götter ... die Elben ... sie gehören einer höheren Ordnung als die der Menschen an«, sagte er.
»Höher ist irreführend«, entgegnete Gilian. »Sagen wir vielmehr, dass ihr Wesen die menschliche Natur umhüllt.«
»Umhüllt?«
»Ja, so wie die menschliche Natur, die der Tiere, der Pflanzen und der Materie.«
»Und durch den Bund mit Rihscha kann ich zwischen diesen Naturen, diesen Welten reisen ... sogar in das Reich der Elben ... und in das der Götter?«
»Ja, und sogar darüber hinaus zum Ursprung aller Schöpfung. Es ist möglich«, bestätigte der Gott.
»Der Ursprung aller Schöpfung?«, wiederholte Alduin ungläubig.
»Ja. Der Augenblick, in dem aus dem Nichts alles wurde.«
Alduin grübelte über diese verblüffende Möglichkeit nach. Was das für eine Reise wäre! Was für eine Geschichte er zu erzählen hätte! Vielleicht ... vielleicht könnte er sogar auf diese Weise versuchen, die Weisheit zu finden, die Feindschaft zwischen den Stämmen von Nymath und den Uzoma beizulegen.
»Unvorstellbar!« Er holte tief Luft. »Aber das Entscheidende dabei ist, dass ich meiner selbst bewusst bleibe und mich nicht im Falkenflug verliere«, sagte er und war kaum in der Lage, seine Aufregung zu bändigen.
»Wenn du nicht deinem Vater folgen willst, dann schon.«
»Was muss ich tun? Wie kann ich all das erfahren?«, fragte Alduin drängend.
Der Gott schwieg einen Augenblick und musterte ihn eindringlich, als wollte er prüfen, wie weit seine Entschlossenheit ging. Schließlich antwortete er, und die Worte, die er sprach, fielen wie ein Hammer, der ein Schicksal besiegelt. »Du musst bereit sein, alles aufzugeben.«
Noch während Gilian sprach, spürte Alduin, dass eine Trauer von ihm Besitz ergriff, wie er sie noch nie verspürt hatte. Er wusste, dass der Augenblick der endgültigen Entscheidung gekommen war. Aber wie hätte er je etwas anderes erwarten können? Natürlich würde es eine gefahrvolle Reise werden. Trotz allen Geleits, das Gilian ihm gewähren mochte, würde er sie unter Umständen nicht überleben. Im besten Fall würde er wahrscheinlich sehr lange fort sein, und er könnte nicht erwarten, in eine
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