Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
zu tragen. Sie hatte eine erstaunliche Ausdauer. Die erste Nacht schlugen sie ihr Lager unweit von Thel Gan auf. Am nächsten Morgen hielten sie sich kurz im Dorf auf, um Proviant aufzustocken. Am Nachmittag des zweiten Tages erreichten sie Sean Ferll.
Die Kleinstadt war Endstation für Händler, die ihre Ware auf dem Fluss transportierten. Daher war die Stadt auch das letzte Depot für die Vorräte zahlreicher abgelegener Siedlungen im Nordosten von Nymath. Sie war weit genug von Sanforan entfernt, so galt sie auch als Zufluchtsort für zwielichtige Gestalten, und man betrieb solcherart Handel, der in der Hauptstadt nicht gern gesehen wurde. Die aus Stein und Holz errichteten Bauwerke schienen schnell und lieblos zusammengezimmert, und über dem Ort lag eine merkwürdige Atmosphäre der Vergänglichkeit, als hätte man hier nie die ehrliche Absicht gehabt, eine Stadt aufzubauen, die ein sauberes Umfeld bot, in der sich auch junge Familien niederlassen konnten. Tatsächlich deutete auch wenig darauf hin, dass hier überhaupt Kinder lebten. Alduin hielt Rihscha auf seiner Faust. Er hoffte, dass das stolze Gehabe des Falken ihm bei dem herumlaufenden Gesindel den nötigen Respekt verschaffen konnte.
»Wag dich bloß nicht von meiner Seite«, flüsterte Alduin Erilea zu, als sie die Hauptstraße, begleitet von misstrauischen Blicken, entlangritten.
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte Erilea und blickte Alduin überrascht von der Seite an. »Ich möchte dich daran erinnern, dass ich mittlerweile eine ...«
»Ich weiß, ich weiß. Du bist eine voll ausgebildete Amazone«, fiel Alduin ihr ins Wort. »Trotzdem halte ich es für sicherer, wenn wir zusammenbleiben.«
Etwas besänftigt, verkniff sich Erilea eine bissige Bemerkung und sah sich stattdessen um. Sie musste zugeben, dass Alduin mit seinen Bedenken nicht ganz unrecht hatte. Die Männer, die sie mit kühlen und berechnenden Blicken musterten, waren zumeist zweimal so groß wie sie und kräftig gebaut. Sie wirkten eher, als würden sie bedenkenlos Vorteil aus den Fremden schlagen wollen.
»Können wir hier nicht einfach geradewegs durch und weiterreiten?«, fragte sie.
»Aber wohin?«, entgegnete Alduin. »Von hier aus ist Cal möglicherweise aufgebrochen, und nur hier können wir herausfinden, was sein nächstes Ziel war.«
»Aber wer sollte sich nach so langer Zeit noch an ihn erinnern können?«
»Du hast ja recht, aber ich hatte diese Vision - oder was immer es auch gewesen sein mag - nicht ohne Grund. Cal hat in Thel Gan etwas gehört und kam hierher, um noch mehr darüber zu erfahren. Wäre er in eine Sackgasse geraten, so wäre er gewiss umgekehrt.«
»Wohin also gehen wir zuerst?«
»Wie wär's damit?«, schlug Alduin vor und deutete auf ein Lagerhaus, das aussah wie eine Gemischtwarenhandlung. »Vielleicht können wir dort etwas erfahren!«
Erilea sprang vom Pferd, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, legte eine Hand auf den Knauf des Messers an ihrem Gürtel und ballte die andere zur Faust. Ihre gesamte Haltung sollte davor warnen, sich mit ihr anzulegen.
Alduin stieg mit Rihscha vom Pferd, setzte seine Falken auf den Sattel und band Fea an einem Pfosten an. »Lass niemanden zu nahe kommen«, trug er dem Falken auf. »Setz die Krallen ein, wenn es nötig ist!«
Alduin hoffte zwar, es würde zu keinen Streitigkeiten kommen, denn nach Rihschas Gefecht gegen Malnar vor zwei Jahren wusste er nur zu gut, dass wenige Menschen in einem Kampf gegen einen Falken bestehen konnten. Er vertraute darauf, dass es niemand versuchen würde.
Gemeinsam betraten sie den schummrigen Laden und wussten sofort, dass sie hier richtig waren. Im vorderen Bereich lagen Waren gestapelt, der hintere Teil war eine gut laufende Dorfschenke.
Die beiden setzten sich an einen der großen Gemeinschaftstische. »Lass uns mal sehen, was sie hier so auftischen!« Die Einheimischen musterten sie neugierig. Es mochte an der Wirkung des Mets liegen, dass sie hier einen weniger bedrohlichen Eindruck erweckten als draußen.
Der Wirt sprach sie freundlich an. »Wir haben heute Burak-und- Bohnen-Eintopf. Kann ich euch dafür begeistern?«
Alduin warf einen Blick zu Erilea. Sie nickte.
»Ja, gerne und zwei Becher Calba», bestellte er dankend.
Nachdem der Wirt gegangen war, beugte sich Erilea dicht zu Alduin und fragte ihn leise. »Hast du schon einen Plan, wen du hier fragen willst?«
»Vielleicht sollte ich mit ihm dort anfangen.«
»Und wie lautet deine Frage?«
»Ich
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