Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
es behutsam an seinem Handgelenk. Als der Wagen weiterrollte, hob er zum Abschiedsgruß den Arm und rief Sivella zu sich, die auf seiner ausgestreckten Faust landete. Das war das letzte Bild, das Triel mit auf die Reise nahm und das sich unvergesslich in seine Seele grub.
Rael seufzte und streichelte Sivellas Brust.
»Wir müssen etwas suchen, womit wir uns die Zeit vertreiben können«, murmelte er. »Sonst werde ich noch wahnsinnig.«
»Rael, da bist du ja!«, unterbrach Meister Calborth die Gedanken des jungen Mannes. »Etwas Eigenartiges geschieht mit Cal. Komm rasch!«
Triel und seine Mutter Bretta waren mit einem Schlag wie aus seinem Gedächtnis gefegt. Er ließ Sivella fliegen und rannte hinüber zu den Schlafquartieren. Er lief die Treppe hinauf und nahm dabei zwei Stufen auf einmal, verharrte einen Moment, um sich zu beruhigen, bevor er die Tür des Krankenzimmers öffnete. Bardelph, der am Vorabend eingetroffen war, stand auf einer Seite des Bettes, Aranthia auf der anderen Seite. Beide hielten Cals Arme und Beine fest. Er versuchte sich immer noch aufzubäumen, warf den Kopf hin und her, und seine Augen waren von Panik geweitet. Ein Stöhnen drang aus seinen zusammengebissenen Zähnen.
»Rael, wie gut, dass du da bist«, keuchte Aranthia kraftlos, als sie ihn erblickte. »Bitte hilf mir. Ich muss ihm etwas Jatamansi einflößen.«
Meister Calborth kam atemlos mit einem Fläschchen in der Hand und reichte es Aranthia. »Hier!«
Damit Aranthia das Beruhigungsmittel verabreichen konnte, tauschte sie mit Rael die Position. »Meister«, bat sie. »Versucht ihr, seinen Kopf ruhig zu halten.«
Es war unvorstellbar, dass ein Mensch solche Kräfte entfalten konnte. Es war, als sei er von den Göttern besessen. Mit viel Mühe gelang es Aranthia, ein paar Tropfen Jatamansi auf seine Zunge zu träufeln, während die drei Männer ihn festhielten, so gut es ging. Dann legte sie das Fläschchen beiseite und begann, seine Kehle zu massieren, damit er die Flüssigkeit schlucken konnte. Die Arznei wirkte rasch, die krampfartigen Bewegungen ließen nach, und einen Moment später schlief Cal ein.
»Was wohl geschehen wäre, wenn wir nicht zufällig ins Zimmer gekommen wären, als er zu sich kam?«, sagte Aranthia und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist mir auch unerklärlich, was ihn aus der Bewusstlosigkeit erweckt hat. Doch einen zweiten Anfall dieser Art darf er nicht noch einmal erleiden. Am besten geben wir ihm eine geringe Menge Jatamansi in seinen Tropf.«
Rael betrachtete den schlafenden Mann. Mittlerweile sah er um die fünfunddreißig Winter aus, was seinem eigentlichen Alter entsprach.
»Vielleicht hat sich sein Körper jetzt auf sein wahres Alter eingestellt, und das hat ihn aus dem Koma erlöst. Ganz so, als wäre die Zeit zu ihrem gewöhnlichen Muster zurückgekehrt, und ...«
»... und er möchte unbedingt wieder die Verbindung mit Krath aufnehmen, und es gelingt ihm aus irgendeinem Grund nicht«, beendete Aranthia den Satz für ihn. »Da könntest du recht haben. Trotzdem müssen wir einen Weg finden, ihn ruhig zu stellen, wenn er das Bewusstsein wiedererlangt. Ich kümmere mich um eine zuverlässige Dosierung des Jatamansi.«
»Und es muss ständig jemand bei ihm bleiben, bis wir wissen, ob die Dosis stimmt«, schlug Bardelph vor. »Wenn ihr Marla mit einem Becher Calba heraufschicken könntet, übernehme ich die erste Wache.«
Rael erinnerte sich wieder an das Versprechen, das er Triel gab, als er mit Calborth und Aranthia das Krankenzimmer verließ.
»Wenn Ihr mich nicht mehr braucht, gehe ich hinüber zum Ratsamt und lasse Triel als möglichen Falknerlehrling eintragen«, sagte er.
»Mach das«, ermutigte ihn Calborth, »und komm später zu mir. Wir können gemeinsam abendessen.«
»Ja«, fügte Aranthia hinzu. »Beim Abendessen sollten wir dann auch überlegen, wie wir uns die Wache einteilen.«
»Dann sehen wir uns später«, verabschiedete Rael sich und lief die Treppe hinunter.
Das Ratsamt lag auf einer Seite der großen Halle unmittelbar neben den Räumlichkeiten der Elbenvertretung im Hohen Rat von Nymath. Als Rael an den Zimmerfluchten von Fürstin Melethiell vorbeiging, blickte er auf die geschlossenen Fensterläden. Vermutlich war auch sie, wie so viele andere, vor der Hitze des Hochsommers aus der Stadt geflüchtet. Eine daran angrenzende Tür jedoch war nur leicht angelehnt. Rael öffnete sie und betrat den dämmrigen Raum. Schwere Vorhänge sperrten das
Weitere Kostenlose Bücher