Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
Licht der Nachmittagssonne aus. Ein Schreiber saß an einem riesigen Tisch und kritzelte Symbole auf ein Stück Pergament. Rael fragte sich, wie er überhaupt etwas in dieser Dunkelheit sehen konnte.
»Seid gegrüßt«, sprach er ihn an, und der Schreiber blickte mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf.
»Seid gegrüßt, Falkner. Sag mir, wie kann ich Euch helfen?«
»Ich bin gekommen, um einen Jungen eintragen zu lassen«, erklärte Rael. »Er ist noch jung - erst acht Winter -, aber er entstammt einer Linie von Falknern und anderen, die der Falkenhalle eng verbunden sind. Sein Onkel ist Lotan, früherer Bogenschützenlehrer, sein Großvater war Garan.«
Der Schreiber nickte, griff nach einem ledergebundenen Buch und holte ein loses Stück unbeschriebenes Pergament hervor.
»Name?«, fragte er.
»Triel, Sohn von Lurd und Bretta«, antwortete Rael und musterte die Zeichen, mit denen der Schreiber die Angaben festhielt. Doch lesen konnte er sie nicht. Offizielle Belange wurden nicht mit der Runenschrift aufgezeichnet, die die Falkner erlernten. Nicht zum ersten Mal fragte sich Rael, ob es nicht sinnvoller wäre, eine Form der schriftlichen Verständigung für alle im Land zu haben.
Für Falkner galten nur die Elbenrunen. Und manchmal kam es ihm vor, als wolle man auf diese Weise die anderen Stämme Nymaths stets daran erinnern, welche magischen Kräfte von ihnen ausgingen. Zugegeben - im Gegensatz zu den Elben waren die Falkner nicht in der Lage, mit den Runen Magie zu bewirken. Doch selbst der schlichte Zweck, für den sie sie einsetzten, verlieh ihrer Berufung doch eine gewisse Mystik. Somit war die Runenschrift eher begrenzt und er hätte sich lieber eine allgemein verständliche Schrift gewünscht.
»Und Ihr sagt, Lotan war sein Onkel?«
»Er ist ... ist sein Onkel ... Wir wissen es nicht genau ...«, begann Rael, dann zuckte er mit den Schultern. »Sein Großvater war Garan.«
Der Schreiber hielt die Angaben fest.
»Gibt es einen Familiensitz?«, wollte er wissen, als er fertig geschrieben hatte.
Die Frage traf Rael völlig unvorbereitet. Er hatte gar nicht bedacht, dass Brettas Familie noch ein Haus in der Stadt haben könnte. Aber wenn ein Haus auf Lotan übergegangen und er noch nicht gestorben war, dann bestand die Möglichkeit durchaus.
»Die Frage kann ich Euch nicht beantworten«, gestand er. »Werden über derlei Dinge Aufzeichnungen geführt?«
»Natürlich«, erwiderte der Schreiber leicht entrüstet, als wäre die Frage ein Zweifel an seiner Autorität. »Alles wird sorgsam erfasst, und wenn nicht hier, dann in den Archiven.«
Offensichtlich wollte der Diener des Hohen Rats beweisen, wie ordentlich die Amtsstube geführt war. Um den Beweis dafür anzutreten, erhob er sich. Auf einer Seite des Raumes standen hölzerne Kästen in den Wandregalen, aus denen Schriftrollen quollen. Er ging auf das Regal zu, zog eine Kiste heraus, stöberte darin und murmelte dabei Unverständliches vor sich hin. Dann zog er schließlich vier Rollen hervor und breitete eine nach der anderen auf, bis er endlich einen zufriedenen Ruf ausstieß und drei der Schriftstücke wieder zurück in die Kiste legte.
»Da haben wir es doch«, verkündete er und ging zurück zu seinem Schreibtisch. »Der Familiensitz befindet sich in der Nähe des Westtors. Hier steht, dass er immer noch auf den Namen Garan eingetragen ist.«
»Aber Garan ist gestorben. Dann muss er doch in den Besitz von Lotan übergegangen sein, oder?«
»Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass Garan gestorben ist.«
»Aber Meister Calborth ...«, setzte Rael an.
»Ich habe Euch doch schon gesagt, dass wir hier ordnungsgemäß Buch führen«, beharrte der Schreiber und zog leicht verärgert eine Augenbraue hoch. »Wenn jemand stirbt, werden wir umgehend verständigt, und die jeweiligen Besitztümer gehen auf den Nächsten in der Erbfolge über. In diesem Fall wäre das Lotan gewesen.«
Rael sah ein, dass es keinen Sinn hatte, mit dem Mann zu streiten.
»Könnt Ihr mir sagen, wo das Haus ist?«, fragte er und wartete gespannt auf die Antwort.
Kurze Zeit später eilte Rael die Hauptstraße hinab zum Westtor und bog rechts in die letzte Seitengasse ein. Nur ein paar Schritte weiter sah er einen kleinen Vorgarten, der zu einem mittelgroßen Haus führte. Es bedurfte offensichtlich einiger Instandsetzungsarbeiten, die Pflanzen hingegen wirkten gepflegt. Laut der Auskunft des Schreibers war dies Brettas Elternhaus. Rael versuchte sie sich als
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