Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
den Kopf darüber zerbrechen, denn schon wurde er von dem alten Mann angesprochen. »Komm, komm näher!«, winkte er ihn herbei. »Pendar sagte mir, dass du in der Stadt bist. Wie ist dein Name? Und was gibt es Neues aus Sanforan? Ich bin schon so lange fort. Setz dich zu mir, und erzähl mir alles!«
Alduin war überrascht über die Kraft und Klarheit in seiner Stimme. In seinen Augen sah er eine Leidenschaft, die schon fast an Besessenheit grenzte.
»Pssst, Garan! Lass den Falkner zufrieden. Er ist weit gereist und gewiss müde«, ermahnte ihn sein Gefährte.
»Unsinn, Pendar!«, schrie Garan. »So leicht werden die Falkner von Nymath nicht müde. Zu meiner Zeit haben wir das Land von einem Winkel zum anderen drei Mal in einem Mondzyklus durchquert. Komm näher. Lass dich ansehen, junger Mann. Was für eine Freude! Mal wieder ein frisches Gesicht unter uns! Noch dazu ein so junges in der Blüte des Lebens. Und dein Falke, wo ist der?«
»Mein Falke Rihscha hat sich einen Platz für die Nacht gesucht, und ich bin Alduin«, antwortete er.
Er warf sein Bündel auf das freie Bett gleich neben dem des Alten. Nachdem er seine wenigen Habseligkeiten verstaut hatte, setzte er sich zu ihm auf die Bettkante.
Die Klarheit, mit der Garan sprach, stand ganz im Widerspruch zu seinem Äußeren. Alles deutete darauf hin, dass er das Bett nur selten verließ, er weder seine Kleidung wechselte noch sein Haar kämmte. Der saure und schale Geruch des Alters ging von ihm aus. Ein dünner Speichelfaden hing ihm aus dem Mundwinkel, den Pendar rasch mit einem speckigen Lappen wegwischte.
»Kommst du aus Sanforan?«, fragte Garan.
»Ich war erst unlängst dort, verbringe dieser Tage aber nicht allzu viel Zeit in der Stadt.«
»Gibt der alte Calborth immer noch den Ton in der Falkenhalle an?«
Alduin entschied sich dazu, den respektlosen Tonfall zu überhören. Es schien ihm, als dass sich hier auf eigenartige Weise etwas zusammenfügte, dessen Bedeutung er nicht richtig abschätzen konnte, und mit jedem Moment wuchs das Gefühl, dass er im richtigen Moment am richtigen Platz war. Er musste nur geduldig bleiben.
»Niemand hat je darüber nachgedacht, den Falkenmeister abdanken zu sehen«, gab er schulterzuckend zurück.
»Aber es muss doch ein Nachfolger ausgebildet werden! Wie kann man nur so kurzsichtig sein, glauben, dass er ewig lebt?«
»Es gibt einige, die ihn unterstützen«, antwortete Alduin und dachte an die zusätzliche Arbeit, die Bardelph sich aufgebürdet hatte. Doch ehe er antworten konnte, plapperte der Alte weiter. »Gut, gut. Ja, das ist gut. Ich bin sicher, dass es hervorragende Kandidaten gibt«, meinte Garan und zwinkerte Alduin zu, als teilten die beiden ein Geheimnis.
»Und du? Weshalb bist du hier? Kennst du den Weg?«
Während er sprach, schraubte sich seine Stimme in die Höhe, und durch die Heftigkeit seiner Sprache konnte er den Speichel nicht zurückhalten. Als Pendar ihm noch einmal den Mund abwischen wollte, schleuderte er den Lappen beiseite.
»Lass mich gefälligst in Ruhe! Belästige mich nicht. Das hier ist wichtig. Er kann uns hinbringen. Alleine schaffen wir das nicht. Aber er kann uns führen!«
Der Alte packte Alduins Handgelenk und hielt es umklammert gleich dem Griff eines Schraubstocks.
»Du nimmst uns doch mit, oder? Vergiss den Rest, aber nimm Pendar und mich mit. Wir haben schon so lange Zeit gewartet!«
»Wie soll ich euch führen? Ich kenne den Weg nicht«, entgegnete Alduin und fragte sich dabei, wer ihm die Worte in den Mund gelegt hatte.
»Aber du musst«, beharrte Garan. »Du bist doch deshalb hier, oder?«
»Es ist zu spät«, meinte Pendar in einem hoffnungslosen Tonfall. »Niemand kennt den Weg. Entweder offenbart er sich oder nicht. Wir konnten ihn nicht finden. Wir hatten unsere Falken nicht mehr, die uns hätten lenken können. Die Falken sind der Schlüssel. Das wollten wir nur nie wahrhaben.«
»Aber er hat einen Falken. Das hat er selbst gesagt!«, erwiderte Garan.
»Ja, er hat einen Falken. Wir aber hätten uns damals auf die Suche machen müssen, als wir jünger waren und unsere Falken lebten. Für uns ist es zu spät.«
Mit einem Schlag wurde Alduin alles klar. Er brauchte niemanden, der ihm den Weg zeigte! Rihscha war der Schlüssel. Der Schlüssel zu allem.
Ein überwältigendes Gefühl machte sich in ihm breit, und plötzlich wusste er, dass er an einem Punkt angelangt war, der sein Leben für immer verändern würde.
Seine Erregung steigerte sich,
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