Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
als er sich des unglaublichen Lichtes erinnerte, das er in seinem Bund mit Cal und Krath erlebt hatte, das Gefühl, diese Welt zu verlassen, um in ein anderes Reich zu fliegen. Und noch einmal durchlebte er, wie aus der Verbindung von zwei unabhängigen Wesen eines wurde.
Jede Einzelheit hatte sich in ihn eingebrannt und ließ ihn alle Vorsicht vergessen, sogar den eigentlichen Grund seiner Reise. Selbst wenn er sich in jenem Augenblick des Mannes erinnerte, den er vor kaum zwei Siebentagen bewusstlos im Emmerfeld gefunden hatte, so würde er diesen Gedanken beiseite schieben, denn nichts konnte ihn mehr aufhalten. Er schien in ein anderes Leben zu gehören, gleich einem Trugbild, das nur ein Schatten einer viel größeren Wirklichkeit darstellte.
Plötzlich hatte er Mitleid mit allen, die dieses Gefühl nie verspürt hatten. Wie grausam musste es doch für Garan, Pendar, für die vielen Raiden gewesen sein. Sie waren auf der Suche nach etwas, was sie niemals finden würden, weil sie zu spät aufgebrochen waren. Ohne auf den Gestank und den Schmutz zu achten, streckte er die Hand nach Garan aus und legte sie auf den knöchernen Arm.
»Es tut mir leid«, sagte er und hörte selbst, dass seine Stimme vor Aufregung zitterte. »Pendar hat recht. Ich kann Euch nicht helfen.«
Als Alduin und Erilea am nächsten Morgen ostwärts aus der Stadt ritten, hatte er nicht über die geheimnisvolle Begegnung gesprochen und auch nicht über seine Erkenntnis daraus. Er hatte nur erwähnt, dass er mit ihr sprechen würde, wenn sie allein waren. Ein Schauder kroch Erilea über den Rücken, als sie den leeren Blick in seinen Augen sah, und sie fürchtete, dass sie im Begriff war, ihn zu verlieren.
Sie erreichten mit Fea Lome bald die Ausläufer der kleinen Stadt, und noch immer schwieg Alduin.
Rihscha flog hoch in den Wolken, und Erilea wusste, dass Alduin nicht mit ihm in Verbindung war. Seine Gedanken kreisten irgendwo. Nachdem sie schließlich die letzte einsame Behausung hinter sich gelassen hatten, bogen sie vom Weg ab. Sie folgten einem Trampelpfad durch die Bäume zu einer Lichtung am Fluss. In stummem Einvernehmen stiegen sie ab und setzten sich nebeneinander ans Ufer. Als sich die frühe Morgensonne hinter den Baumwimpfeln erhob, glitzerte und funkelte das Wasser. Vögel zwitscherten, Creeka zirpten.
»Eigentlich ist es ganz einfach«, begann Alduin, seiner Sache sehr sicher. »Nur Rihscha kann mir zeigen, wohin ich gehen muss. Keiner der armseligen Raiden, die wir in der Stadt gesehen haben, weiß etwas. Sie waren alle zu spät. Als sie hier ankamen auf der Suche nach dem geheimnisvollen Ort, waren ihre Falken bereits gestorben. Und nur sie hätten ihnen den Weg zeigen können. Aber sicher gewesen wäre es auch nicht, ob sie ihn gefunden hätten.«
»Soll das heißen, ich kann dich nicht begleiten?«, fragte Erilea. Sie wagte nicht zu atmen.
Alduin ergriff ihre Hand und drückte sie, dann legte er den Arm um sie, zog sie an sich - doch er antwortete nicht. Für einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. Als er zu sprechen begann, fühlte er, dass er ihr keinen Mut machen konnte. »Ich weiß es nicht. Zuerst muss ich Rihscha folgen, wohin auch immer er mich führen wird. Dann sehen wir weiter.«
Es verstrich ein langer Moment des Schweigens. Alduin beobachtete die zarten Bewegungen auf der Wasseroberfläche. Hatte er sich wirklich für den richtigen Weg entschieden? Er fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits war da Erilea, die sprühte voller Leben und verzauberte ihn zugleich. Andererseits hörte er diesen inneren Ruf, der ihn von ihr wegführen würde.
Die Zeit stand still, während sie so beisammensaßen und versuchten, alles andere auszusperren. Und dann - innerhalb eines kurzen Augenblicks - verschob sich etwas zwischen ihnen. Unbemerkt, geringfügig, klein, aber immer bedeutsamer. Es war so weit. Alduin stand auf, zog Erilea an sich und umarmte sie. Mit den Fingern hob er ihr Kinn an und küsste sie sanft wie der Schwingenschlag eines Schmetterlings. Dann machte er kehrt und ging ein paar Schritte weiter - ohne sich umzusehen.
Trauer, Sorge, aber auch ein unterschwelliges Gefühl des Glücks stiegen in Erilea auf, als sie beobachtete, wie er sich in den Schatten eines Baumes hockte und mit geschlossenen Augen die Verbindung mit Rihscha einging.
Entschlossen stand sie auf, ging zu ihm hin und setzte sich ihm gegenüber. »Ich bin hier«, flüsterte sie. Die Zeit ihrer Selbstfindung
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