Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
kannte sich aus mit all den Galgenstricken und Schwindlern, die Highpoint bis aufs Blut ausgesaugt hatten. Allmählich erholte sich der Besitz, und im selben Maße erholte sich auch Anne. Ich war selten dort. Während Cromwell zuerst Irland und dann Schottland unterjochte, hielt ich ihm den Rücken frei. Jede Nation schmiedete ihre Ränke gegen die Protektoratsmacht, zu der wir geworden waren. Von der Queen Street aus, lediglich dem Staatsminister John Thurloe unterstellt, lenkte ich das effizienteste und umfassendste Netzwerk von Doppelagenten und Informanten in Europa. Mitte der 1650er Jahre waren wir die meistgefürchtete Nation in ganz Europa.
Jedes Mal, wenn ich nach Highpoint zurückkehrte, schlug mein Herz schneller. Es war, als würde zusammen mit dem Haus und Annes Gesundheit auch unsere Liebe wieder erblühen. Sie kümmerte sich um alles. Die Bediensteten und Pächter begannen, sie zu respektieren und schließlich, zu meinem Erstaunen, sie zu lieben.
Lady Stonehouse, so hieß es, sei eine Dame und doch keine Dame. Sie hatte perfekte Manieren, eingeimpft von ihrer Freundin Lucy, die dauerhaft nach Highpoint gezogen war, nachdem ich ihre Freilassung aus dem Tower erwirkt hatte. Anne konnte mit dem Architekten über die riesige, von Säulen getragene Halle, dem Kernstück des wieder aufgebauten Flügels, diskutieren, und mit den Pächtern über eine Totgeburt oder eine kranke Kuh. Ich war ungeheuer stolz auf sie und liebte sie, wenn das überhaupt möglich war, mehr denn je.
Ich sehnte mich nach einem weiteren Kind. Seit ihrer Krankheit hatten wir nicht mehr miteinander geschlafen, und ich näherte mich ihr mit derselben Befangenheit wie bei unserem ersten Mal. Sie bat mich, ihr etwas mehr Zeit zu lassen. Ihre Gesundheit sei noch nicht ganz wiederhergestellt. Sie, die ihre Mutter stets verspottet hatte, weil diese nicht einmal das Bett verließ, wenn der Sterndeuter ihr Unheil verhieß, begann nun selbst, einen solchen aufzusuchen, und stets verkündete er, dass in der Woche meines Besuchs Saturn in Opposition zur Venus stand.
Als der wieder aufgebaute Flügel eingeweiht wurde, war die ganze Grafschaft eingeladen. Es wurde ein großartiger Erfolg, und von dem Erfolg wie von zu viel Wein angeregt, ging ich in Annes Schlafzimmer, als sie sich für die Nacht zurechtmachte. So verlegen, wie der unerfahrene Lehrjunge, der ich einst war, las ich das erste Gedicht, dass ich ihr je geschrieben hatte, und das mit den Worten endete: »Allein, mir bleibt der Traum, durch meine Liebe zu Euch, Euren Blick auf mir zu spüren.«
Sie schenkte mir ein schalkhaftes Lächeln, genau, wie sie es damals getan hatte, und fragte mich, ob ich überhaupt wüsste, wann genau sie sich in mich verliebt hatte. Mein Herz pochte, und da sie ihre Worte bereits zu bereuen schien, flehte ich sie an, es mir zu erzählen. Ebenso erregt vom Abend und vom Wein wie ich, erklärte sie, es sei in dem Moment geschehen, als ich ihr das Rechnungsbuch im Kontor ihres Vaters gezeigt hätte, gekennzeichnet mit dem Buchstaben »T«. Da habe sie begriffen, dass an mir mehr dran sein musste als meine hässlichen Füße.
Sie erzählte es, als machte sie einen Scherz, aber die Saat war gelegt. Ich dachte an ihre erstickten Tränen, als sie mir sagte, sie könne mich nicht heiraten, weil sie sonst meinem Erbe im Weg stünde. Zeigte das nicht, wie sehr sie mich liebte? Doch dann war Lucy aufgetaucht, um sie zu einer Abendgesellschaft mitzunehmen und Lord Stonehouse vorzustellen. An einen Zufall konnte ich nicht länger glauben. Hatte Anne dort, genau wie bei dem Rechnungsbuch, ihre eigenen Berechnungen angestellt?
Als ich sie danach fragte, lachte sie und küsste mich, und ich ließ das Thema fallen. Was spielte es schon für eine Rolle? Sie brachte keine weiteren Ausreden vor, und verweigerte sich nicht länger, aber es fühlte sich an, als erfülle sie lediglich ihre Pflicht, als spiele sie Theater. Das Kind kam niemals. Ich argwöhnte, dass sie irgendetwas nahm, um es zu verhindern, aber ich konnte es nicht beweisen.
Obgleich – oder vielleicht weil – wir einander nur selten sahen, hielt man uns für das perfekte Ehepaar. Cromwell löste die Armee nie auf, und in der Grafschaft, wo alle jüngeren Offiziere in sie verliebt waren, glänzte Anne wie ein auserlesener, geschliffener Edelstein. In London beeindruckte sie Cromwell mit ihrer ernsten Miene und ihrer Gottesfürchtigkeit, die sie, genau wie ihren hohen puritanischen Hut, mit einem Seufzer der
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