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Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)

Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)

Titel: Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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Erleichterung ablegte, sobald sie nach Highpoint zurückkehrte.
    Die ganze Zeit über arbeitete ich härter als je zuvor. Im Spätherbst – jedes Jahr im Spätherbst, wenn die Kerzen früh entzündet wurden und die Kälte in alte Wunden kroch, wurde ich zuerst gereizt, dann unerträglich – erklärte ich in regelmäßigen Abständen Mr Cole, dass ich auf gar keinen Fall gestört werden dürfe. In einer Kammer, zu der keinem Dienstboten Zutritt gestattet war, wechselte ich meine Kleider und schlüpfte in einen graubraunen Leibrock, wie ein einfacher Schreiber ihn tragen würde. Ich nahm einen Umhang und einen breitkrempigen Hut und schlüpfte zum Hintereingang hinaus, wie ein Pächter, der erfolglos um Zahlungsaufschub gebettelt hatte. Die Heimlichtuerei gehörte unbedingt dazu, obgleich es im puritanischen England ohnehin eine weise Vorsichtsmaßnahme war.
    Anfangs knackten meine Gelenke, da ich, obwohl gerade erst dreißig, einen rechtschaffenen Bauch mit mir herumtrug und ansonsten selten zu Fuß ging. Sobald ich am Lincoln’s Inn vorbei war, beschleunigten sich meine Schritte, und mein Puls ging schneller, während ich mich Smithfield näherte und den Gestank einatmete, als handle es sich um das feinste Parfüm. Im Half Moon Court hing immer noch das Druckerzeichen: RB mit einem gelben Halbmond, obwohl Mr Black und seine Frau schon längst tot waren, begraben, wie sie es sich gewünscht hatten, auf dem St. Mark’s Friedhof. Cromwell hatte sein Versprechen gehalten. Außer gegenüber Katholiken herrschte mehr religiöse Toleranz in England als je zuvor.
    Nach der Beerdigung hatte ich Anne erklärt, ich würde das Haus verkaufen oder vermieten. Doch jedes Mal fand ich entweder die Mieter ungeeignet oder den angebotenen Preis zu niedrig. Dafür gab es Gründe. Das Haus war nur zusammen mit der holländischen Druckerpresse zu haben, die Mr Black angeschafft hatte, nachdem er mich zu seinem Lehrjungen gemacht hatte. Doch der Markt für Drucksachen war zusammengebrochen. Politische Flugschriften waren verboten. Es gab Bühnenstücke, die sich in gedruckter Form einiger Beliebtheit erfreuten, da alle Theater geschlossen worden waren, doch die Geschäfte liefen schlecht. Eines Tages, so sagte ich mir jedes Mal, wenn ich durch die verstaubten Fenster auf den Flor aus Spinnweben blickte, die den Drucktiegel überzogen, würde das Drucken sich wieder lohnen.
    Das Haus gegenüber, das jetzt einem Schneider gehörte, war voller Leben, voller Kinder, die mich für einen Geist hielten und kreischend ins Haus rannten, wenn ich zum Apfelbaum ging, den ich gepflanzt hatte. Sie hatten die meisten Äpfel gepflückt, aber für gewöhnlich gab es welche, an die sie nicht herankamen, oder zumindest Fallobst. Ich nahm ein, zwei Bissen, vollkommen ruhig, weil ich nicht glaubte, dass es wieder passieren würde. Doch dann, sobald der saure Saft meine Zunge ätzte, stiegen mir unvermittelt Tränen in die Augen. Sie blendeten und peinigten mich. Jedes Mal, wenn ich glaubte, sie wären versiegt, stiegen sie von neuem auf, bis sie mich schließlich vom Hof trieben.
    Mit der Erschöpfung, die auf die Tränen folgte, begann die Befreiung, und ich ging zu der Adresse, die Scogman für mich ausfindig gemacht hatte. Er sagte immer, er wüsste, wonach ich suchte. Für einige Zeit war es die Witwe eines Baronets, aber sie wurde zu anhänglich und fing an, von Liebe zu reden, und davon hatte ich genug. Huren waren einfacher. Das war die wahre Befreiung, die Vorspiegelung von Liebe auf beiden Seiten und ein paar Stunden wilder Ausgelassenheit. Anschließend schlich ich zurück in die Queen Street, verwandelte mich wieder in Sir Thomas, nahm mitunter den Entwurf für einen Bericht wieder auf, den ich mitten im Satz beiseitegeschoben hatte, und arbeitete die Nacht hindurch.
    Manche Jahre waren aus der Erinnerung ausradiert. Allein die Ziffern umgab eine magische Aura. Am bemerkenswertesten war 1655. Für viele war es das Jahr, in dem wir den Spaniern Jamaika abnahmen und uns aufmachten, eine Kolonialmacht zu werden. Für mich blieb es als das Jahr in Erinnerung, in dem ich im feucht lastenden Nebel im Half Moon Court stand, der Apfel, in den ich biss, einen Wurm hatte und ich, dank einer Warnung von Scogman, für mein nächtliches Vergnügen weit über die London Bridge hinaus und tief nach Southwark hinein musste. Die Moralmeister, wie er sie nannte, hatten gerade wieder eine ihrer Säuberungsaktionen durchgeführt. Bordelle waren geschlossen

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