Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
angeordnet, den ich vor zwei Jahren bei Mr Pepys bestellt hatte, damals aber nicht bezahlen konnte, da Lord Stonehouse mir meine finanzielle Unterstützung gestrichen hatte. Mr Pepys hatte den dunkelgrünen Stoff misstrauisch angeschaut und gesagt, er sei für eine Bestattung nicht angemessen, ganz zu schweigen von der Exekution des Königs, doch ich hatte keine Zeit für solche Feinheiten. Cromwell wollte das Henkersbeil fallen sehen, kaum dass das Urteil verkündet und Tinte und Siegelwachs auf dem Hinrichtungsbefehl getrocknet waren. In Whitehall wurde eilig ein Schafott errichtet und die Hinrichtung für die Mittagsstunde des 30. Januar 1649 festgelegt.
Als ich an jenem Morgen erwachte, formulierte ich in Gedanken bereits eine Flugschrift – eine schimpfliche Angewohnheit, die auszumerzen ich Jahre brauchte –, als mir etwas einfiel. Wenn ein König starb, wurde stets umgehend sein Nachfolger proklamiert. König Charles’ Sohn, der nach Holland geflohen war, würde sich gewiss selbst zum König ernennen, aber es wäre eine Katastrophe, wenn irgendjemand in London so etwas verkünden würde. Ich sagte mir, dass Cromwell das bedacht haben musste, doch als ich es Ireton gegenüber erwähnte, wurde er bleich. Die Tragödie wurde zur Posse. Die Hinrichtung wurde hinausgezögert, bis genügend gefügige Abgeordnete aufgetrieben und nach Westminster gekarrt worden waren, um ein Gesetz zu beschließen, das jedwede Ernennung eines Nachfolgers von Charles für unrechtmäßig erklärte.
In der Annahme, die Exekution würde trotz der Verzögerung stattfinden, ging ich zu Mr Pepys, um wie vereinbart meinen Anzug abzuholen. Anne würde mir nie verzeihen, wenn ich bei solch einer Gelegenheit nicht respektabel aussähe.
»Wird sie vollstreckt werden, Sir?«, sagte eine Stimme an meinem Ohr.
Es war der junge Samuel Pepys, der Sohn meines Schneiders. Das Geld, das Pepys mit Nadel und Faden verdient hatte, hatte es ihm ermöglicht, Samuel auf die St. Paul’s School zu schicken.
»Solltest du nicht in der Schule sein?«, fragte ich streng.
»Wir wurden nach Hause geschickt«, erwiderte er ausweichend, und dann, mit zunehmender Aufregung: »Wird man sie verhindern?«
»Willst du das denn?«
»Auf gar keinen Fall, Sir!« Er musste etwa fünfzehn Jahre alt sein und war gerade im Stimmbruch. Er stand da, die Hände zu Fäusten geballt und die Wangen gerötet. »Wenn ich ihm die Predigt halten müsste, würde der Text lauten: Die Erinnerung an das Böse möge verrotten!«
Ich lachte über seinen Enthusiasmus, aber ansonsten gab es an diesem Morgen wenig zu lachen. Ich bezahlte Mr Pepys für den Anzug und schöpfte einigen Trost daraus, dass ich jetzt die Mittel dazu besaß. Zudem war ich erleichtert, weil ich wusste, dass ein guter Schneider einem Mann Zutritt zu Orten verschaffen konnte, die ihm andernfalls verschlossen blieben.
Einer dieser Orte war ein hervorragender Platz bei der Exekution des Königs. Ireton saß still und gefasst wie immer da, nur ein wenig blasser als gewöhnlich.
An jenem Tag wehte ein ausgesprochen scharfer Wind von Osten über die Themse. Der König trug ein zusätzliches Hemd, so dass er nicht vor Kälte zittern würde und man es irrtümlich für Furcht halten könnte. Er sprach seine Gebete, verabschiedete sich von seinen Kindern und schritt durch die Festhalle des Palastes von Westminster, unter dem Deckengemälde von Rubens, auf dem Salomon die göttliche Macht des Königs versinnbildlichte.
Auf dem Schafott zeigte er neben seiner natürlichen Vornehmheit eine Zielstrebigkeit, die ihm auf dem Thron stets gefehlt hatte. Sie wurde genährt von derselben starrköpfigen Unbeugsamkeit, die ihn dorthin gebracht hatte. Die wenigen Worte, die ich verstand und die nicht vom beißenden Ostwind fortgerissen wurden, lauteten, dass er kein Feind des Volkes, sondern sein Märtyrer sei. Er habe geherrscht, um das Leben und die Besitztümer des Volkes zu schützen – doch zu herrschen oder Anteil an der Herrschaft zu haben sei nicht Sache des Volkes.
Als das Beil fiel, ging ein entsetztes Stöhnen durch die Menge. Der junge Samuel wurde trotz seiner radikalen Drohgebärden blass und umklammerte meine Hand. Viele stöhnten, weil sie glaubten, Gottes Gesetze seien missachtet worden. Ich stöhnte über all die vergeudeten Leben und weil die Dummheit des Königs in diesem theatralischen Moment zum Martyrium wurde. Cromwell war nicht anwesend. Er verabscheute jede Art von Theater. Auf seine Weise
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