Fallen Angel 07 Tanz der Rose
daß sein Gesundheitszustand sich nicht länger verheimlichen ließ. Seine Magerkeit und seine trüben Augen würden jedem, der ihn gut kannte, sofort auffallen. Die Ungerechtigkeit des Schicksals versetzte sie in ohnmächtige Wut, gegen die sie mühsam ankämpfte, um nicht die Fassung zu verlieren.
Die Kutsche passierte ein weit geöffnetes schmiedeeisernes Tor und hielt auf der Einfahrt vor einer eleganten Villa im Palladio-Stil an. »Was für ein schönes Haus«, sagte Rosalind, als Stephen ihr beim Aussteigen half.
Arm in Arm schritten sie die breite Freitreppe empor, und noch bevor sie die Tür erreicht hatten, wurde sie von einem älteren Butler geöffnet, der sich ehrerbietig verbeugte. »Willkommen, Eure Gnaden! « Obwohl er die undurchdringliche Miene des perfekten Dieners zur Schau trug, funkelten seine Augen vor Neugier.
Rosalind versuchte sich seelisch zu wappnen. Sie hatte auf der Bühne mehr als einmal eine verlorene Tochter gespielt und würde diese Rolle auch im wirklichen Leben bewältigen können.
In der Halle wurden sie sofort von einer zerbrechlich wirkenden kleinen Frau mit schneeweißen Haaren begrüßt. »Ich bin deine Großmutter, mein Kind. « Sie schenkte Rosalind ein warmes Lächeln. »Laß dich anschauen. «
Verglichen mit dieser zierlichen alten Dame kam Rosalind sich schrecklich grobschlächtig vor, doch Lady Westley seufzte zufrieden. »Anne hatte recht - du siehst Sophia sehr ähnlich, aber du bist natürlich nicht meine Tochter, sondern meine Enkelin. «
Rosalind bückte sich und küßte zögernd eine faltige Wange, die sich wie Pergament anfühlte. »Ich hatte noch nie eine Großmutter«, gestand sie, »und weiß deshalb nicht so recht, was ich machen soll. «
Lady Westley lachte. »Du mußt nur ein bißchen Nachsicht mit mir haben, sonst nichts. Ich habe mein Alter und meine angegriffene Gesundheit schamlos ausgenutzt, um wenigstens die ersten Minuten mit dir allein zu sein. Schließlich bekomme ich nicht jeden Tag eine neue Enkelin - schon gar nicht eine so bezaubernde erwachsene! « Sie wandte sich Stephen zu. »Wir sind uns einige Male begegnet, Ashburton, obwohl es Jahre her ist. Ich habe Ihre Mutter gekannt - ein wildes Mädchen, aber gutherzig. Es freut mich sehr, daß Sie jetzt zur Familie gehören. «
Stephen machte eine untadelige Verbeugung, obwohl er bei der Erwähnung seiner Mutter kaum merklich zusammengezuckt war. »Die Freude beruht auf Gegenseitigkeit, Lady Westley. «
»Wir sollten jetzt lieber zu den anderen gehen, sonst kommen sie alle herausgestürmt, um ihre neue Kusine zu begrüßen. Die jungen Leute finden deine Geschichte sehr romantisch, Rosalind. « Lady Westley verzog das Gesicht. »Sie wissen noch nicht, wieviel Leid sich hinter solcher Romantik verbergen kann. «
Rosalind fand ihre Großmutter sehr sympathisch, und sobald sie den Salon betrat, wurde sie von ihren anderen Verwandten umringt, die sichtlich begeistert waren, sie kennenzulernen. Lady Westley stellte ihr die Familienmitglieder vor, und während sie sich Gesichter und Namen zu merken versuchte, ging ihr durch den Kopf, daß sie sich hier nichts mühsam erkämpfen mußte. Ihre Ab-stammung gab ihr das Recht, in diesen Kreis aufgenommen zu werden, und sie brauchte nicht zu befürchten verstoßen zu werden, wenn sie nicht perfekt war. In einer hübschen jungen Kusine namens Cassandra glaubte sie sich selbst mit siebzehn wiederzuerkennen, und sie sah auch anderen Verwandten ähnlich, was Körperbau und Haarfarbe betraf. Lord Westley, ihr Onkel, wirkte so heiter und warmherzig, daß sie fast vermutete, ihr eigenes sonniges Gemüt sei ein Erbteil dieser Familie.
Die Schreckensherrschaft hatte sie ihrer Eltern beraubt, doch nach einem Vierteljahrhundert war ihr das Glück zuteil geworden, Blutsbande neu knüpfen zu können, und dafür würde sie dem Schicksal ewig dankbar sein.
Stephen hielt sich bei diesem Familientreffen dezent im Hintergrund, heilfroh, nicht selbst im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, denn dafür hätten seine Kräfte nicht ausgereicht. Während er das Essen auf seinem Teller von einer Seite auf die andere schob und vorsichtig am Wein nippte, beobachtete er seine Frau, die offenbar alle Herzen im Sturm erobert hatte. Wenn er nicht mehr da war, würden diese Menschen ihr zweifellos beistehen, und als gebürtige Gräfin du Lac und verwitwete Herzogin von Ashburton hätte sie auf dem Heiratsmarkt die allerbesten Chancen. Ihr Vetter James, Westleys Erbe, schien
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