Fallen Angel 07 Tanz der Rose
ein guter Charakterdarsteller, haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis - was unter diesen Umständen besonders wichtig ist - und verfügen über ein erstaunliches Stimmvolumen. Ihre Stimme ist fast genauso kraftvoll und nuancenreich wie die meine, was ich bei einem Amateur noch nie erlebt habe. «
Seine Stimmgewalt war gar nicht erstaunlich, wenn man bedachte, daß eine Rede im Oberhaus sich nicht allzusehr von einem Bühnentext unterschied, dachte Stephen. Doch die Saison der Theatertruppe würde erst in mehreren Monaten zu Ende sein, und sein Körper würde ihn lange vorher im Stich lassen. In den drei Wochen, seit Blackmer ihm das Todesurteil verkündet hatte, waren die Schmerzattacken immer häufiger geworden, und sobald er in den Spiegel schaute, fiel ihm auf, daß er abmagerte. »Ihr Angebot ist sehr schmeichelhaft, aber ich kann es leider nicht annehmen«, murmelte er.
Thomas seufzte. »Das habe ich mir fast gedacht... schließlich sind Sie ein Gentleman, doch nachdem Sie sich bei uns wohl zu fühlen scheinen, wollte ich Sie wenigstens fragen. Sie sind ein angenehmer Gesellschafter, weil Sie nicht das hitzige Temperament eines Schauspielers haben. «
Stephen lächelte. »Kein Wunder - ich bin ja auch kein begnadeter Schauspieler wie Sie! «
Thomas grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich weiß, daß es viel verlangt ist, aber könnten Sie einspringen, bis ich Chesterfield ersetzt habe? Das dürfte nicht allzulange dauern. Zufällig habe ich vor wenigen Tagen einen Brief von einem Freund in Nordengland erhalten, der mir einen jungen Schauspieler namens Simon Kent empfiehlt. Der Bursche soll sehr begabt sein und braucht dringend ein Engagement. Ich werde meinem Freund Bates noch heute schreiben und diesen Kent für den Rest der Saison probeweise aufnehmen. Doch bis er hier sein wird, fehlt mir ein Mann, und nachdem Sie unser kleines Ensemble ja mittlerweile gut kennen, wissen Sie, wie unersetzlich hier jeder ist. «
Stephen nickte. Nur deshalb hatte er sich mit seinen bescheidenen Fähigkeiten nützlich machen können. Und jetzt bot Thomas ihm einen willkommenen Vorwand, noch eine Zeitlang bei diesen Menschen bleiben zu können, die er ins Herz geschlossen hatte - schließlich mußte er seinen Freunden helfen! »In spätestens zwei Wochen muß ich Sie leider verlassen, doch bis dahin helfe ich Ihnen gern aus. «
»Ausgezeichnet. « Strahlend leerte Thomas seinen Bierkrug. »Aber verzichten Sie bitte darauf, meine Tochter zu verführen! «
Stephen versteifte sich. »Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich um Jessica >herumscharwenzele<, wie Chesterfield es so unverblümt ausgedrückt hat? «
»Natürlich nicht. Jeder, der Augen im Kopf hat, muß bemerken, daß Sie es auf Rosalind abgesehen haben, und ich kann Sie nur zu Ihrem guten Geschmack beglückwünschen. Eine Schönheit wie Jessica oder Maria weiß jeder Mann auf Anhieb zu schätzen, aber nur wenige Männer erkennen, daß Rosalind nicht minder bezaubernd ist. « Thomas lächelte ironisch. »Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Zurückhaltung. Meine kleine Rose ist zwar eine erwachsene Frau, aber das bedeutet noch lange nicht, daß sie gegen Herzschmerz gefeit ist. «
Immerhin wurde seine Zurückhaltung gewürdigt, dachte Stephen düster. Trotzdem war es peinlich, daß Thomas - und vermutlich auch Maria - ihn durchschaut hatte. »Ich will Rosalind nicht verletzen, das müssen Sie mir glauben. Ihre Tochter und ich sind uns einig darüber, daß eine Affäre unklug wäre. «
»Weil die Adoptivtochter von Wanderschauspielern für einen Gentleman als Ehefrau nicht in Frage kommt? « fragte Thomas scharf.
Stephen wollte aufbrausen, sah aber noch rechtzeitig ein, daß es eine berechtigte Frage war. Viele Männer seines Standes hielten Schauspielerinnen in der Tat für liederliche Frauenzimmer, gerade gut genug für ein flüchtiges Abenteuer. Für ihn selbst war es unvorstellbar, eine Frau wie Rosalind einfach mit dem Etikett >Schauspielerin< abzustempeln. »Sie waren auch ein Gentleman und haben Maria, eine gewöhnliche Schauspielerin, geheiratet! «
»An Maria war nichts Gewöhnliches! « entgegnete Thomas hitzig, verstummte aber, weil ihm klar wurde, daß Stephen ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte. »Entschuldigung! Es war unfair, Sie mit Londoner Lebemännern in einen Topf zu werfen. Die Gefühle eines Vaters unterliegen leider nicht den Gesetzen der Vernunft! «
Stephen wußte natürlich, daß es ihn nichts anging, doch die
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