Fallen Angel 07 Tanz der Rose
schmerzverzerrt. Wie war es nur möglich, daß sie bisher nicht bemerkt hatte, wie krank er war?
Sie kniete neben ihm nieder und hielt den Becher an seine Lippen. »Trink. «
Er hob ein wenig den Kopf, hielt den Becher selbst mit einer Hand fest und trank erst vorsichtig, dann mit großen Schlucken. »Danke«, murmelte er heiser, als der Becher leer war.
»Soll ich noch mehr holen? «
Stephen schüttelte den Kopf. »Es geht mir wieder ganz gut. In wenigen Minuten können wir uns auf den Rückweg machen. «
»Lügner! « rief Rosalind. »Bisher ist es dir immer gelungen, mir weiszumachen, daß dir nichts fehlt, sonst hätte ich dich längst zu einem Arzt geschleppt! Aber jetzt solltest du mir endlich reinen Wein einschenken. «
Er schaute sie an. Das Grün war aus seinen Augen verschwunden, die jetzt aschgrau zu sein schienen. Sein langes Schweigen deutete darauf hin, daß er überlegte, mit welcher Lüge er sie beruhigen könnte.
Ihm unverwandt in die matten Augen schauend, drückte sie seine kalte Hand, um ihn zu zwingen, ihr endlich die Wahrheit zu sagen. Stephen war nach dem Anfall viel zu kraftlos, um ihrem eisernen Willen lange standzuhalten. Gegen seinen Willen flüsterte er rauh: »Mir kann niemand helfen - weder du noch ein Arzt. «
Rosalinds Herzschlag stockte. »Was meinst du damit? «
Er schloß die Augen und murmelte kaum hörbar: »Ich sterbe... «
Mit dieser schrecklichen Nachricht hatte sie nicht gerechnet, und sie konnte sie einfach nicht fassen. Stephen sollte sterbenskrank sein? Das war doch unmöglich! Er war so stark, so vital, so lebendig.
Ich sterbe ...
Rosalind preßte ihre freie Hand aufs Herz. Der ungeheure Schmerz, den sie empfand, machte ihr bewußt, wie sehr sie diesen Mann liebte. Sie hatte es sich bisher nur nicht eingestehen wollen, um weniger unter der unvermeidlichen Trennung zu leiden.
Sie hatte von Anfang an gewußt, daß er irgendwann zu seiner Familie und in seine gewohnte Umgebung zurückkehren würde. Insgeheim hatte sie gehofft, daß er hin und wieder an sie denken würde, aber sie hatte ihm aufrichtig alles Glück dieser Welt gewünscht. Und statt dessen würde er bald in der kalten Erde liegen... jetzt wurde ihr so vieles klar. Seine Düsternis, die sie oft gespürt hatte, seine verzweifelten Bemühungen, trotz der gegenseitigen Anziehungskraft eine gewisse Distanz zu wahren, sein Entschluß, die Truppe möglichst bald zu verlassen, sein Gewichtsverlust...
Auf gar keinen Fall durfte sie sich anmerken lassen, wie sehr die Neuigkeit sie verstört hatte, denn ihr Schmerz würde ihn nur zusätzlich belasten. So ruhig, wie sie nur konnte, sagte sie: »Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden. Dein früher Tod wäre ein schmerzlicher Verlust für die Menschheit. «
Stephen schlug die Augen auf, und sie sah, daß seine Pupillen geweitet waren. Vermutlich hatte die Pille, die er im Gasthof geschluckt hatte, Opium enthalten.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, lächelte er selbstironisch, »aber wir alle müssen eines Tages sterben. Mich trifft es nur früher als erwartet. «
Zu wissen, daß alle Menschen sterben mußten, war eine Sache, den Sensenmann unvermutet am Teetisch sitzen zu sehen eine ganz andere. Rosalind versuchte sich vorzustellen, wie ihr zumute wäre, wenn er sie holen wollte, aber es gelang ihr nicht. »Bist du deshalb vor deinem normalen Leben davongerannt? «
Er nickte. »Nach der Diagnose des Arztes brauchte ich etwas Zeit, um das Todesurteil zu verkraften. «
»Ärzte können sich irren. «
Stephen verzog das Gesicht. »Das stimmt - aber der Körper lügt nicht. Ich spüre jeden Tag, daß die Krankheit fortschreitet - so schnell, daß mir nicht mehr viel Zeit bleibt. «
»Was ist das für eine Krankheit? «
»Eine Geschwulst an Magen und Leber, sagt der Arzt. «
Rosalind verwünschte ihre mangelnde Beobachtungsgabe. »Und ich dachte, du gönntest dir nur einen Urlaub von einer schwierigen Ehe. «
»Ich war verheiratet. « Stephens Blick schweifte zu den Dachbalken. »Louisa ist vor etwas über einem Jahr gestorben. «
Seine tonlose Stimme deutete darauf hin, daß er seine Frau sehr geliebt hatte. »Wie war sie? « fragte Rosalind leise.
Er suchte nach Worten. »Sehr schön... Immer eine perfekte Dame. «
Niemand würde Rosalind eine Dame nennen, und sie war alles andere als perfekt. Doch Stephen begehrte sie, und das bedeutete, daß es in ihrer Macht stand, ihnen beiden etwas Freude zu bescheren. Und sie konnte es getrost tun, denn
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