Fallen Angels 01 - Die Ankunft
zurückgelassen hatte. In dem billigen Holzimitatrahmen seines Spiegels steckten diverse Eintrittskarten, Fotos und anderer Kram, und als er einen Schritt nach vorn machte und sein Spiegelbild darin erhaschte, hätte er am liebsten laut geflucht.
Jawoll, immer noch der Alte. Immer noch sah er eine lädierte Visage vor sich.
Wobei selbstverständlich dieses Mal nicht sein Vater ihm das blaue Auge geschlagen hatte.
Er trat ans Fenster, öffnete es einen Spaltbreit, um etwas Frischluft hereinzulassen, und verspürte plötzlich Lust zu reden. Also redete er.
»Wissen Sie, bei unserer ersten Verabredung habe ich Devina nach Montreal eingeladen. Hab sie in meinem Privatflugzeug hingeflogen und eine Suite im Ritz Carlton gebucht. Sie war so beeindruckt, wie ich es beabsichtigt hatte, aber selbst heute weiß sie noch nicht, woher ich komme. Hauptsächlich war das natürlich meine Entscheidung, aber sie hat sich auch einfach nie für meine Vergangenheit interessiert. Hat mich nie mehr nach meinen Eltern gefragt, nachdem ich erzählt hatte, dass beide tot sind, und ich habe es auch dabei belassen.« Er drehte sich um. »Ich wollte sie heiraten. Hatte den Ring schon gekauft - und dann hat sie den Klunker auch noch heute Nachmittag gefunden .«
»O mein Gott.«
»Super Timing, was? Nachdem Jim mich abgesetzt hatte, fuhr ich mit dem Aufzug nach oben und schloss die Tür auf, und da stand sie schon, völlig begeistert, die Schachtel in der Hand.«
Marie-Terese legte sich die Hand auf den Mund. »Wie haben Sie reagiert?«
Vin setzte sich aufs Bett. Eine feine Staubwolke wirbelte auf, woraufhin er eine Grimasse zog, wieder aufstand und die Decke unter den Arm nahm. »Einen Moment.«
Draußen im Flur schüttelte er das Steppbett mit abgewandtem Gesicht aus, bis es nicht mehr ganz so staubig war. Dann ging er zurück in das Zimmer, bedeckte die nackte Matratze damit und setzte sich wieder.
»Wie habe ich reagiert …«, murmelte er. »Tja, ich hab ihre Arme von meinem Hals gelöst und einen Schritt rückwärts gemacht. Habe ihr erklärt, dass ich mich nicht an sie binden könne, dass ich einen Fehler gemacht habe, und dass es mir leidtue.«
Marie-Terese setzte sich neben ihn. »Und was hat sie daraufhin getan?«
»Sie hat es mit eisiger Ruhe aufgenommen. Was Sie nicht verwundern würde, wenn Sie sie kennen würden. Ich hab ihr gesagt, sie könne den Ring behalten, und sie hat ihn mit nach oben genommen. Eine Viertelstunde später kam sie mit einer gepackten Tasche voller Klamotten zurück. Meinte, die restlichen Sachen würde sie so bald wie möglich abholen und mir danach den Wohnungsschlüssel zurückgeben. Sie war vollkommen ungerührt und beherrscht. Tatsache ist, dass sie überhaupt nicht überrascht wirkte; ich liebe sie nicht, habe sie noch nie geliebt, und das wusste sie.«
Vin schob sich auf dem Bett nach hinten, bis er sich hinten an der Wand anlehnen konnte. Aus dem Heizlüfter an der Decke strömte warme Luft auf sein Gesicht herab, ein Gegengewicht zu der Kälte, die durch das geöffnete Fenster ins Zimmer kroch.
Marie-Terese folgte seinem Beispiel, zog allerdings die Beine an und schlang die Arme um ihre Knie. »Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich, aber … wenn Sie Devina nicht geliebt haben, warum haben Sie ihr dann den Ring gekauft?«
»Er war einfach nur eine weitere Anschaffung. Genau wie sie selbst.« Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Worauf ich übrigens nicht stolz bin. Nur war mir das bisher egal …«
»Bisher?«
Er wandte sich wieder ab. »Bis jetzt.«
Ein langes Schweigen breitete sich aus, während dessen die beiden Luftquellen sich vermischten und die Temperatur im Raum sich angenehm einpendelte.
»Mein Sohn heißt Robbie«, sagte Marie-Terese unvermittelt.
Ein Seitenblick verriet ihm, dass ihre um die Knie liegenden Fingerknöchel weiß vor Anspannung waren.
»Sie müssen keine Gegenleistung erbringen«, murmelte er. »Nur weil ich Ihnen etwas erzähle, brauchen Sie das nicht auch zu tun.«
Sie lächelte etwas schief. »Das weiß ich. Es ist nur … ich bin nicht daran gewöhnt zu reden.«
»Dann sind wir ja schon zwei.«
Ihr Blick wanderte im Raum umher und blieb dann an der offenen Tür hängen. »Haben sich Ihre Eltern oft gestritten?«
»Ständig.«
»Haben sie sich auch … geprügelt?«
»O ja. Meistens sah das Gesicht meiner Mutter aus wie ein Rorschach-Test … Wobei sie selbst auch gut ausgeteilt hat. Was natürlich den Fausteinsatz meines Vaters in keinster Weise
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