Fallen Angels 01 - Die Ankunft
starr auf den Asphalt gerichtet, und er blinzelte zu schnell.
Marie-Terese blieb stehen, zog an seiner Hand und ging vor ihrem Sohn in die Hocke. An beiden Armen schüttelte sie ihn leicht. »Es ist nichts Schlimmes, zu spät zu kommen. Die Leute kommen ständig zu spät. Wir geben uns alle Mühe, immer pünktlich zu sein, und mehr können wir nicht tun. Okay? Robbie?«
Die Kirchenglocken verstummten. Und einen Moment später glitt ein Auto an ihnen vorbei, zweifellos ebenfalls auf Parkplatzsuche. Dann bellte irgendwo in der Ferne ein Hund.
Das hier hatte nichts mit dem Zu-spät-Kommen zu tun, erkannte sie.
»Erzähl mir, was los ist«, flüsterte sie und brachte ihr Gesicht ganz nah vor seines, obwohl sie sich dazu praktisch auf den Boden legen musste. »Bitte, Robbie.«
Die Worte sprudelten aus seinem Mund. »Ich mochte meinen eigenen Namen lieber. Und ich will nicht wieder umziehen. Ich mag meine Babysitter und mein Zimmer. Ich mag das YMCA. Ich mag … das hier.«
Marie-Terese hockte sich auf die Fersen zurück … und wollte ihren Exmann wieder einmal umbringen. »Es tut mir ehrlich leid. Ich weiß, dass das schwer für dich war.«
»Aber wir gehen weg, oder? Gestern Nacht bist du früher nach Hause gekommen, und ich habe dich mit Quinesha sprechen hören. Du hast ihr gesagt, dass du vielleicht eine andere Regelung treffen musst.«
Das Wort »Regelung« kam als »Legurung« heraus.
»Ich mag Quinesha. Ich möchte keine andere Regelung.«
Wieder die Legurung.
Wie genau sollte Marie-Terese ihrem Sohn erklären, dass sie deshalb wieder umziehen mussten, weil sie fest davon überzeugt war, dass die »schlimmen Zeiten«, wie er es nannte, wirklich zurück waren?
Das Auto, das vorhin vorbeigefahren war, tauchte wieder auf, da es offenbar keinen Parkplatz gefunden hatte.
»Ich habe letzte Nacht meinen Job gekündigt«, sagte sie, so dicht an der Wahrheit bleibend, wie es ihr möglich war. »Ich habe meine Stelle als Kellnerin in dem Laden aufgegeben, weil ich dort nicht glücklich war. Ich werde mir irgendwo eine neue Arbeit suchen müssen.«
Robbie hob den Blick und sah sie prüfend an. »Es gibt viele Restaurants in Caldwell.«
»Das stimmt, aber vielleicht brauchen die momentan niemanden. Ich muss Geld für uns verdienen, damit wir überleben können.«
»Ach so.« Nun schien er sich das Ganze noch mal zu überlegen. »Okay. Das ist was anderes.«
Übergangslos entspannte er sich wieder, als wäre das, was ihn bedrückte, ein Heliumballon, den er gerade losgelassen und in den Himmel hatte steigen lassen.
»Ich hab dich lieb.« Es war furchtbar für sie, dass genau das, worüber er sich Sorgen gemacht hatte, tatsächlich gerade passierte. Dass sie Caldwell verlassen mussten, hatte nichts mit ihrem Job zu tun. Allerdings sollte er die Last dieses Wissens nicht tragen müssen.
»Ich dich auch, Mama.« Er umarmte sie kurz, die kleinen Arme reichten nicht einmal zur Hälfte um sie herum. Trotzdem spürte sie die Liebkosung im ganzen Körper.
»Können wir?«, fragte sie heiser.
»Ja.«
Sie nahmen wieder die Beine in die Hand und hasteten auf die Kirche zu, die breiten Steinstufen hoch und schlüpften dann durch das schwere Tor. Im Vorraum zogen sie ihre Jacken aus, und Marie-Terese nahm ein Programm aus dem Spender am Eingang zum Kircheninneren. Auf Robbies Drängen hin steuerten sie eine der Seitentüren an und schlichen sich auf Zehenspitzen zu einer Bankreihe, die noch einigermaßen leer war.
Genau als sie sich hinsetzten, wurden die Kinder aufgerufen, zur Sonntagsschule zu gehen. Robbie aber blieb bei seiner Mutter sitzen. Er ging nie mit den anderen Kindern - hatte nie darum gebeten -, und Marie-Terese hatte es von sich aus auch nicht vorgeschlagen.
Als Priester und Chor den Gottesdienst begannen, atmete Marie-Terese tief durch und ließ die wohltuende Wärme der Kirche in sich einsickern. Und den Bruchteil einer Sekunde stellte sie sich vor, Vin hier neben sich und Robbie sitzen zu haben, vielleicht auf der anderen Seite ihres Sohnes. Es wäre nett, über Robbies Kopf hinweg einen Mann zu sehen, den sie liebte. Sie könnten sich heimlich anlächeln, wie Paare es hin und wieder taten. Vin hätte Robbie bei seinem Krawattenknoten helfen können.
Es könnte noch eine Tochter dazwischen sitzen.
Stirnrunzelnd stellte Marie-Terese fest, dass sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten Tagträume hatte. Sich tatsächlich eine angenehme, glückliche Zukunft ausmalte. Mein Gott … wie lange war es her,
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