Fallen Angels 01 - Die Ankunft
hatte, war die halbe Messe um, aber in der Bankreihe direkt hinter ihr und dem Sohn war noch eine Lücke gewesen, also hatte er sich unauffällig aus dem Schatten geschlichen und dort niedergelassen.
Den Großteil des Gottesdienstes hatte sie damit verbracht, die Fresken anzustarren, die gerade gereinigt wurden, den Kopf zur Seite gelegt, so dass ihre Wangenkontur besonders hübsch aussah. Wie immer trug sie einen langen Rock und einen Pulli - heute in einem tiefen Dunkelbraun - und dazu Perlenohrringe. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt und ein zartes Parfüm aufgelegt … oder vielleicht war es auch nur das Waschpulver, das sie benutzte?
Er müsste in den Supermarkt gehen und an allen Marken und Sorten schnüffeln, um herauszufinden, welches es war.
Wenn sie so in der Kirche saß, wirkte sie wie die absolute Supermutter: half ihrem Sohn, die richtigen Seiten im Gebetbuch aufzuschlagen, beugte sich hin und wieder herunter, wenn er offensichtlich eine Frage stellen wollte. Niemand hätte das Wort »Nutte« auch nur in ihrer Hörweite benutzt … geschweige denn, es auf sie angewendet. Sie wirkte wie eine dieser Frauen, die ihr Kind unbefleckt empfangen hatten.
Das erinnerte ihn an den Kerl, den er mit dem Montiereisen geprügelt hatte. Nicht an den Teil mit dem Erschlagen; wobei das offenbar nicht ganz nach Plan gelaufen war, da der Blödmann nur im Koma lag - noch ein guter Grund für Verkleidungen. Nein, er dachte an den Gesichtsausdruck auf dem noch intakten Gesicht des Mannes, als er aus dieser dreckigen, ekelhaften Toilette in dieser dreckigen, ekelhaften Disco gekommen war.
Was für eine Lüge ihre Fassade doch war.
Zorn kochte in ihm hoch, aber das war jetzt der völlig falsche Zeitpunkt, und um sich abzulenken, betrachtete er die zarten Muskeln, die in ihrem Nacken nach oben verliefen. Weiche Löckchen kringelten sich um diese sanfte Wölbung, und mehr als einmal lehnte er sich unwillkürlich nach vorn, wie um sie zu berühren.
Oder vielleicht, um ihr die Hände um die Kehle zu legen.
Und zuzudrücken, bis sie ihm und nur ihm gehörte.
Er konnte sich gut ausmalen, wie es wäre, ihre Gegenwehr zu bändigen und sie für sich zu beanspruchen … konnte sich das Verzücken in ihren Augen vorstellen, wenn sie starb.
Als er sich so in seine Zukunft träumte, hätte er seinem Impuls beinahe nachgegeben, aber glücklicherweise halfen die Gesangspassagen, seine wütende Konzentration zu durchbrechen und seine Hände zu beschäftigen. Hin und wieder wandte er sich auch dem Sohn zu, um seine Manie im Zaum zu halten, sich auf sie stürzen zu wollen. Denn wenn er an diesem Ort außer Kontrolle geriet, könnte er alles verlieren.
Der Sohn war so wohlerzogen. So erwachsen. Ein kleiner Herr des Hauses, zweifellos.
Sie ließ ihn nie mit den anderen Kindern zur Sonntagsschule gehen, sondern behielt ihn immer direkt bei sich. Was ihn etwas frustrierte, obwohl es natürlich klug von ihr war, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Sehr klug.
Aber sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Der kleine Junge wäre schon bald bei seinem Vater … und sie wäre auf ewig bei ihrem wahren Ehemann.
Die perfekte Zukunft war für sie alle längst entworfen.
Siebenundzwanzig
Vin trat in die Wohnung, machte die Tür hinter sich zu und hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand das Knie in die Magengrube gerammt. Vom Flur aus starrte er das verwüstete Wohnzimmer an und konnte einfach nicht fassen, was er da vor sich sah.
Kopfschüttelnd betrachtete er das Chaos. Die Sofas waren umgeworfen, die Seidenkissen zertrampelt und einige Skulpturen von ihren Sockeln geworfen worden. Der Teppich um die Bar herum war von den ausgelaufenen Spirituosen ruiniert, und die Wände müssten neu tapeziert und gestrichen werden, denn es sah aus, als wären zwei Flaschen Bordeaux dort gelandet.
Er zog den Mantel aus, warf ihn auf eins der zerwühlten Sofas und wanderte durch den einst perfekten Raum. Es war erstaunlich, wie all diese kostbaren Gegenstände so schnell in Schrott verwandelt werden konnten. Es fehlten eigentlich nur noch eine Schmutzschicht und ein paar Essensabfälle, und man hätte eine Müllhalde.
Vin bückte sich und hob ein paar Scherben auf, die aus dem venezianischen Spiegel gebrochen waren. Dem Anschein nach war er von etwas getroffen worden, das vage an einen menschlichen Rücken erinnerte, in der Mitte zeichnete sich ein länglicher Umriss ab. Der feinen weißen Staubschicht auf dem Glas nach zu
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