Fallen Angels 01 - Die Ankunft
Juli gedauert, den Aufenthaltsort ihres Sohnes ausfindig zu machen, und bis heute war ihr absolut schleierhaft, wie sie diese furchtbaren Wochen überstanden hatte.
Komisch, damals hatte sie noch gar nicht wieder an Gott geglaubt, und trotzdem hatte alles geklappt: Das Wunder, für das sie betete, wurde gewährt, obwohl sie nicht an den glaubte, den sie darum bat. Doch das Flehen hatte ganz offensichtlich funktioniert, und sie erinnerte sich mit übergroßer Deutlichkeit an den Anblick des fetten schwarzen Lincoln Navigator des Privatdetektivs vor dem billigen Motel in Florida, in dem sie ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Robbie hatte die Tür des SUV geöffnet und war ins Sonnenlicht getreten, und eigentlich hatte Marie-Terese auf ihn zurennen wollen, aber ihre Knie hatten den Dienst versagt. Mit ausgestreckten Armen war sie auf den Bürgersteig gesunken und hatte geschluchzt.
Sie hatte geglaubt, er wäre tot.
Robbie hatte ihr das Gesicht zugewandt … und dann war er zu ihr gestürmt, so schnell ihn seine kleinen Beine trugen. Seine Kleider waren schmutzig gewesen und sein Haar zottig, und er hatte nach angebrannten Nudeln mit Käsesoße gerochen. Aber er lebte und atmete und lag nun wieder in ihren Armen.
Er hatte damals nicht geweint. Hatte bis heute nicht geweint.
Von seinem Vater oder diesen drei Monaten hatte er auch nicht gesprochen. Selbst mit dem Psychologen nicht, zu dem sie ihn gebracht hatte.
Marie-Terese hatte bis dahin angenommen, dass der schlimmste Teil des Ganzen wäre, nicht zu wissen, ob der Sohn, den sie auf die Welt gebracht hatte und den sie liebte, noch am Leben war. Seine Heimkehr aber war ebenfalls die Hölle. Jede Minute jedes einzelnen Tages wollte sie ihn fragen, ob alles in Ordnung war, aber das konnte sie natürlich nicht machen. Und wenn sie es hin und wieder einfach nicht aushielt und ihm trotzdem diese Frage stellte, antwortete er, dass es ihm gutgehe.
Es ging ihm nicht gut. Konnte ihm unmöglich gutgehen.
Die Einzelheiten, die der Privatdetektiv ihr berichten konnte, waren lückenhaft. Ihr Mann hatte Robbie quer durchs Land geschleift, von Mietwagen zu Mietwagen, unter ständig wechselnden Namen und von einem dicken Stapel Bargeld zehrend. Es stellte sich heraus, dass Mark aus mehreren Gründen untergetaucht war - da nicht nur Marie-Terese nach ihm suchte.
Und sehr wahrscheinlich hatte er Robbie massiv eingeschüchtert, damit er ihm nicht weglief. Weshalb sie ihren Exmann am liebsten umgebracht hätte.
Nachdem sie Robbie zurückbekommen und die Scheidung eingereicht hatte, floh sie, so weit weg, wie sie nur konnte, und lebte von Geld, das sie von Mark genommen, und von Schmuck, den er ihr geschenkt hatte. Lange hatte das leider nicht gereicht, vor allem wegen der Anwaltskosten für die Scheidung, der Rechnung des Privatdetektivs und des finanziellen Aufwands, sich eine neue Identität zu schaffen.
Wo sie am Ende gelandet war, erinnerte sie wieder an Hiob. Mit Sicherheit hatte dieser überhaupt nicht gewusst, wie ihm geschah - gerade noch war alles paletti, und im nächsten Moment war ihm alles genommen worden, was ihn ausmachte, und er war so tief gefallen, dass er sicherlich auch Dinge in Betracht gezogen hätte, um zu überleben, die vorher unvorstellbar gewesen wären.
Ihr ging es ganz genauso. Damit hätte sie niemals gerechnet. Nicht mit diesem steilen Abstieg. Nicht mit dem harten Aufprall ganz unten und dem Einstieg in die Prostitution.
Aber sie hätte es besser wissen müssen. Ihr Ex war von Anfang an zwielichtig gewesen, ein Mann, der überall Bargeld hatte, nur nicht auf seinem Bankkonto. Woher, zum Teufel, hatte sie denn geglaubt, dass das Geld kam? Leute mit legalen Geschäften hatten Kredit- und Bankkarten und vielleicht noch ein paar Zwanziger in der Brieftasche. Sie bewahrten nicht Hunderttausende von Dollars in Aktenkoffern in Hotelschließfächern in Las Vegas auf.
Natürlich hatte sie davon am Anfang noch nichts gewusst. Damals war sie völlig geblendet gewesen von den Geschenken und den Restaurantbesuchen und den Privatflugzeugen. Erst später hatte sie die Dinge allmählich infrage gestellt, und da war es schon zu spät gewesen: Sie hatte bereits einen Sohn, den sie liebte, und einen Ehemann, den sie fürchtete, und darum hatte sie geschwiegen.
Wenn sie ganz brutal ehrlich zu sich selbst war, dann war Marks geheimnisvolles Gebaren anfangs seine Hauptanziehungskraft gewesen. Das Geheimnisvolle und das Märchenhafte und das Geld.
Dass sie der
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