Fallen Angels 03 - Der Rebell
sie, wie die meisten Menschen, morbide Gedanken über den Tod gehabt, der sie erwartete. Eine langsam voranschreitende Krankheit? Ein schneller Autounfall? Eine genetische Anfälligkeit für Herzleiden? Oder vielleicht der Überfall eines Kriminellen, bei dem sie sich wehren, ihn möglicherweise im gleichen Moment erschießen würde, wie er sie. Ein Abgang mit Glanz und Gloria.
Aber das, was hier in dieser eisigen, klammen Höhle passierte? Das nicht.
Während sie in Vecks kaltes, wütendes Gesicht blickte, sah sie ihn langsam doppelt, und ihre Augen brachten die beiden Hälften nicht mehr zusammen … sodass sie überdeutlich erkennen konnte, dass in seiner Miene kein Mitgefühl, ja, überhaupt kein Gefühl, kein Zweifel lag …
Als sich der Kristalldolch in seiner Hand hob, wurde ihr bewusst, dass sie das Gesicht seines Vaters vor sich hatte.
Der Sohn führte das Vermächtnis des Vaters fort.
Bilder ihrer eigenen Eltern ließen die Tränen noch heftiger fließen. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, sich zu verabschieden. Ihnen ein letztes Mal zu sagen, dass sie sie liebte und sie nicht nur ihr eigenes Leben verändert hatten, sondern auch das so vieler anderer …
Und sie hatte Veck nicht richtig erklären können, dass sie ihm glaubte, dass sie wusste, dass er unschuldig war … und dass sie ihn liebte.
Die große Ironie des Schicksals war natürlich, dass er sie in dem Glauben, sie zu retten, töten würde.
»Ich weiß, dass du es nicht getan hast«, stieß sie mit rauer Stimme hervor, die nicht weit trug. »Die Beweise … das war Bails …«
Warum es ihr in Anbetracht der Zeit, die ihr noch blieb – nämlich fast keine –, so wichtig war, das zu sagen, wusste sie auch nicht.
Besser, gleich weiterzumachen: »Ich liebe … dich …«
Und dann schloss sie die Augen, wandte den Kopf ab und machte sich bereit. Er würde aufs Herz zielen. Mit dem Dolch, das war die effizienteste Art, und Veck würde keine Zeit verlieren wollen, wenn er glaubte, ihr Leben hinge davon ab.
Entsetzen schnürte ihr die Kehle zusammen, und sie begann, heftig zu zittern.
Ihr Mund öffnete sich unter einem Schluchzen.
Tränen flossen … wie es bald schon ihr Blut tun würde.
Vor Tagen, abends im Wald, war Veck bereit gewesen, dieses Dreckschwein Kroner auszuradieren.
Sein Motiv wäre nicht das Wohl der Gesellschaft gewesen – obwohl er vorgehabt hatte, das zu behaupten. Nachdem die Gelegenheit ungenutzt verstrichen war, war er erleichtert gewesen.
Und jetzt? Hatte er die einzige Rechtfertigung, die eine Rolle spielte: seine Reilly. Es war ihm egal, ob sie glaubte, er hätte Beweise manipuliert oder ob sie in Zukunft nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Ihr Leben zu retten reichte vollauf.
Die Dunkelhaarige hatte recht: Es war so ein einfacher Tausch.
Veck musterte sein Opfer. Kroners Mund bewegte sich, und den Tränen nach zu urteilen, die aus seinen Augen strömten, flehte er zweifellos um Gnade. Dem gefühllosen Mörder blieb nur noch, um das zu betteln, was er seiner Beute verwehrt hatte.
Großer Gott, der Kerl war so armselig. Das Krankenhaushemd war voller Blut, als wäre er kopfüber den Hang runtergeschleift worden, seine Haut so weiß, dass sie Ähnlichkeit mit Schnee hatte, sein Gesicht von den Schwellungen völlig verzerrt.
Ganz kurz verspürte Veck den Drang, den Dolch wegzulegen und den Scheißkerl zu prügeln, bis er einen Herzinfarkt bekam. Die Opfer des Mannes hatten langsam sterben müssen … waren bei Bewusstsein gewesen, während er sich seine abartigen Andenken von ihnen holte. Es schien fast wie Karma, dass er jetzt am eigenen Leib erlebte, wie es war, ohnmächtig zu sein, Schmerzen zu leiden, einem anderen ausgeliefert zu sein.
Aber Reillys Leben stand auf dem Spiel.
Veck reckte den Arm noch höher über die Schulter und zielte mit der Spitze des Glasdolchs auf Kroners Brust. Ein gezielter Stich, mehr bräuchte es nicht, und Gott wusste, dass Veck die Kraft hatte, das zu erledigen …
Gerade, als das Messer den Scheitelpunkt des Bogens erreichte, in der Sekunde, bevor Veck die ganze Wucht seines Oberkörpers in den Hieb legte, fing eine der Facetten der Waffe das Kerzenlicht ein und warf einen Strahl auf Kroners Gesicht.
Veck runzelte die Stirn, als er dessen rattenhafte Züge klar und deutlich erkennen konnte: Kroner hatte die Augen geschlossen und das Gesicht zur Seite gedreht, sein schmächtiger Körper zitterte in Erwartung des Todes.
»Was ist denn?«, blaffte die Dunkelhaarige.
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