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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Hände mit ordentlich geschnittenen Nägeln. Keine Ringe. Den Pferdeschwanz hatte sie gelöst und sich ihr schulterlanges, gerades Haar gekämmt. Ich glaube, in dem Augenblick wurde mir erst so richtig klar, wie beeindruckend sie war. Ihre Augen waren von jenem seltsamen, verwaschenen Graublau, das man gelegentlich bei Leuten von der Westküste Irlands findet. Als ich mich mitten im Satz unterbrach und sie unvermittelt fragte, ob sie vielleicht Verwandte in Irland habe, lächelte sie.
    »Nicht nur Verwandte, ich bin dort geboren. Meine Familie ist nach England gezogen, als ich noch ein Kind war. Vor fünf Jahren bin ich zum ersten Mal wieder dorthin zurück.« Mit einem Mal hatte sich ein sehnsüchtiger Ausdruck auf ihr Gesicht gelegt, ein wenig traurig, bis sie wieder lächelte. »1991 habe ich ein wahrhaft interessantes halbes Jahr dort verbracht. Hat mir gutgetan.« Ich wartete ab; sie ließ sich jedoch nicht näher darüber aus, sondern begann, langsam das Buch durchzublättern, wobei sie die ganze Zeit gerade so viele Fragen stellte, daß ich plötzlich alle Bedenken in den Wind schlug.
    »Die haben meiner Mutter gehört, ich habe sie eben erst gefunden. Aber nicht nur sie hat sie geschrieben; es handelt sich um zwei zusammengebundene Tagebücher. Ich muß herausfinden, wer die andere Person ist. Oder war? Ich habe so eine Ahnung, daß der zweite Verfasser die Bücher auch gebunden hat. Verstehen Sie, sie ist vor ungefähr einem Monat unter äußerst merkwürdigen Umständen gestorben. Und ich habe das Gefühl, diese Tagebücher bergen eine Art Schlüssel in sich – das klingt sonderbar, ich weiß –, aber es scheint ein Zusammenhang zwischen ihnen und ihrem Tod zu bestehen. Möglicherweise irre ich mich, aber ich möchte unbedingt herausfinden, wer sie zusammengestellt hat.«
    Ihre hellen Augen sahen mich eigentlich nicht an, eher durch mich hindurch, in eine andere Zeit oder an einen anderen Ort. Gleich darauf drehte sie sich zu mir um und betrachtete mich mitleidvoll.
    »Wirklich seltsam«, sagte sie sehr leise, »in der Tat seltsam. Ich habe etwas Ähnliches durchgemacht. Das mit ihrer Mutter tut mir leid.« Ihre Finger streiften leicht die meinen. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Tagebücher Murray zeige? Er weiß weit besser über Bucheinbände Bescheid als ich. Mal sehen, was er davon hält.«
    Während wir warteten, erklärte sie, die letzten paar Jahre hätte sie in den Staaten verbracht, zuerst in Minnesota, wo sie zusammen mit Murray in einer »Bibliothek für Spezialsammlungen« gearbeitet hatte; als das Klima dort ihr allzu sehr zugesetzt hatte, waren sie nach Colorado gezogen. Sie erzählte leichthin, voller Selbstvertrauen; und sie wirkte sehr zufrieden.
    »Unsere Beziehung ist ganz langsam gewachsen, zumindest von meiner Seite her. Und vor ungefähr einem halben Jahr haben wir dann beschlossen, es miteinander zu versuchen. Uns zu binden, wie es so schön heißt.« Sie lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum ich so lange dazu gebraucht habe; es tut gut.« Plötzlich klang sie ganz wie eine Amerikanerin, oder brach einfach ihre offenkundige Glückseligkeit durch? Sie grinste entschuldigend. »Sie haben Reggie kennengelernt? Was hat er für einen Eindruck gemacht? Und die Kinder?«
    »Etwas verwirrt, fand ich. Es sind nicht ihre, stimmt’s?«
    »O nein, nein, ich selber konnte leider keine bekommen. Verwirrt? Ist alles in Ordnung mit ihm?«
    »Ich wollte damit nur sagen, er schien mir ein bißchen überfordert. Der Junge ist hinreißend, das Mädchen habe ich nur ganz kurz gesehen. Sie hat die Windpocken, überall rote Pusteln … da habe ich schlicht die Flucht ergriffen.« Ich zuckte die Schultern. Grace warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals.
    »O mein Gott«, gluckste sie, »armer alter Reggie. Aber er hat es ja so gewollt …«
    »Sah so aus, als könnte er ein wenig Hilfe gebrauchen.«
    Grace schob die Zunge in die eine Backe und blickte mich schelmisch an.
    »Reggies alte Masche«, meinte sie. »Ich nehme an, Sie sind nicht darauf hereingefallen.«
    »O nein, ich habe eine feste Stelle. Ist er allein?«
    »Ja, zumindest im Augenblick. Die Mutter der Kinder ist offenbar wieder mal auf Wanderschaft. Das passiert von Zeit zu Zeit, ihr Leben ist ziemlich kompliziert. Aber keine Sorge, sie kommt wieder zurück, etwas Besseres als Reggie findet sie nie.« Merkwürdigerweise klang dies durchaus nicht verbittert, nicht einmal gekränkt;

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