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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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sein Verschwinden erst, als ich hörte, wie in der Küche der Wasserkessel gefüllt wurde. Das ist ein weiteres Heilmittel gegen Angst: Häuslichkeit. Ich wußte, wenn mein lächelnder Eindringling mir in diesem Augenblick eine Tasse Tee servierte, könnte er von mir alles bekommen, was er wollte. Er kam mit dem Tee und einem kleinen Teller zurück, auf dem eine dünn mit Butter bestrichene Scheibe Brot lag – nur gut, daß ich eingekauft hatte und beugte sich über mich, während ich schlürfte und schluckte. Das Reden übernahm er.
    »Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Bitte, glauben Sie mir, ich will Ihnen nichts Böses. Ich bin hier, weil mein Vater sehr krank ist und fortwährend nach Ihnen fragt. Es hat ein paar Tage gedauert, bis es mir gelungen ist, Sie aufzuspüren, denn er konnte kaum erklären, wo sie wohnen. Hat nur immer wieder ›Morgan am Flughafen‹ gestammelt. Aber schließlich bin ich dahintergekommen. Ihre Sekretärin hat Sie mir gezeigt, als Sie vom Parkplatz gefahren sind. Ich bin Ihnen bis nach Hause gefolgt, habe jedoch eine Zeit gebraucht, um allen Mut zusammenzuraffen und bei Ihnen zu läuten.«
    Während ich mich krampfhaft bemühte, meine Fassung wiederzuerlangen, betrachtete ich ihn abschätzend. Er schien ehrlich zu sein; was am meisten an ihm auffiel, war seine Verlegenheit. Hätte er mich ausnutzen wollen, dann hätte er dies getan, während ich ohnmächtig gewesen war. Trotzdem, es wäre töricht gewesen, ihm zu schnell aufs Wort zu glauben.
    »Haben Sie nicht gesagt, Sie seien Arzt? Wo?« fragte ich energisch.
    »In Frankreich.«
    »Praxis oder Krankenhaus?«
    »Krankenhaus.«
    »Okay, wie lautet die Telefonnummer? Schnell, nicht erst nachdenken.«
    Er rasselte sie herunter. Ich ging zum Telefon, wählte die unendlich lange Zahlenreihe und landete beim Hôtel de Dieu in Carpentras – wo auch immer das war. Es schien zu stimmen, im Hintergrund hörte ich die Sirenen von Krankenwagen.
    »Je voudrais parier à Monsieur Daniel Garnier.« Eine Weile mußte ich warten, bis ich durchgestellt wurde, wahrscheinlich zu seiner Sekretärin. Als sie sich meldete, bedauerte sie, Monsieur le Docteur sei nicht da, und bot mir an, mich mit einem »confrère« zu verbinden. Monsieur le Docteur schaute leicht belustigt drein, als ich mich ihm wieder zuwandte.
    »Nicht schlecht«, meinte er.
    »Was?«
    »Ihr Gedächtnis. Werden Sie die Nummer im Kopf behalten?«
    »Nicht lange, wenn ich sie mir nicht aufschreibe.«
    »Ich hoffe, das tun Sie.«
    Ich hüstelte. Genug des Geplänkels. »Na schön, jetzt weiß ich, wie Sie heißen, aber ich bin noch um nichts schlauer.« Ich betrachtete ihn unverwandt. »Exakt fünf Minuten gebe ich Ihnen, um mir genau zu erklären, wer Sie sind und was Sie hier wollen. Oh, übrigens, wo, zum Teufel, liegt Carpentras?«
    »In der Provence. Ich bin orthopädischer Chirurg am Kreiskrankenhaus.« Er nahm seine Uhr ab und legte sie umständlich auf den Couchtisch. Dann sah er mich schief an und begann zu sprechen.
    »Mein Vater lebt in Oxford.«
    Ich hielt die Hand hoch. »Warten Sie«, forderte ich ihn auf. »Wie heißt er?«
    »Myles Garnier.«
    M? Meine Hoffnung sank. Die Tagebücher waren von einem MM gewidmet. »Garnier? Ist er Franzose?«
    »Nein. Sein richtiger Name ist McDonagh, den Namen Garnier hat er angenommen, weil es praktischer war.«
    Soso. Myles McDonagh. Das kam der Sache schon näher. Führte das Ganze endlich zu einem Ergebnis?
    »Und Sie sind sein Sohn.«
    »Ja.« Er lächelte. Ihm schien mein Unbehagen Spaß zu machen.
    »Aber Ihr Name ist Garnier. Wie das?«
    »Fünf Minuten, haben Sie gesagt? Ich werde versuchen, es Ihnen zu erklären. Meine Eltern haben sich kennengelernt, als meine Mutter als Au-pair-Mädchen in England war. Sie ist Französin. Nach ihrer Heirat haben sie zehn Jahre lang in Frankreich gelebt. Meine Großeltern haben ein kleines Weingut im Ventoux, ungefähr zehn Meilen von Carpentras entfernt. Meine Eltern haben ihnen nach ihrer Heirat bei der Bewirtschaftung geholfen. Den Leuten dort ist es schwergefallen, McDonagh auszusprechen, also haben Sie den Familiennamen meiner Mutter benutzt. Schließlich hat Papa, glaube ich, seinen Namen offiziell ändern lassen.« Ein typisch französisches Achselzucken. »Ich habe immer Garnier geheißen. Nach ein paar Jahren ist mein Vater krank geworden, depressiv. Sie waren nicht sehr glücklich zusammen und haben sich schließlich getrennt. Mein Vater ist nach Oxford zurückgekehrt, als ich

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