Fallende Schatten
zumute, ein Lied über Dich zu schreiben und es von Peggy Lee singen zu lassen. Ich weiß, Dir wäre Kiri – wie heißt sie doch gleich wieder – lieber, aber glaub mir, die alte Peggy würde uns die Ohren klingen lassen.
Ich habe es Nell nicht gesagt. Ich weiß, ich habe es versprochen, aber ich habe ihr nicht gesagt, daß ich mit dem Gedanken spiele, hierherzuziehen und mit Dir zusammenzuleben. Nein, nicht mit dem Gedanken spiele. Daß ich es beschlossen habe. Ich frage Dich nicht, ob Du mich immer noch willst, ich weiß, es ist so. Aber ich bin selbstsüchtig. Als Du mir gesagt hast, Du würdest mit Danny darüber reden, habe ich plötzlich gewußt, ich will Dich mit niemandem teilen. Noch nicht. Deswegen habe ich Dich gebeten, damit zu warten. So lange hast Du in meinem Kopf gelebt. Die Gewohnheit ist zu übermächtig für mich. Ich weiß, für Dich auch. Ich weiß es.
Ich habe lachen müssen, als du gestanden hast, es würde Dir schwerfallen, mit Danny zu reden. Du hast gesagt, was ich Dir jetzt sage, daß das alles zu kostbar ist. Es gehört uns. Uns allein. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin noch nicht soweit, es zu ertragen, daß die Augen der Jugend auf unsere Liebe blicken. Wir sehen, was wir sehen. Ich will nicht wissen, was andere Leute von uns halten. Dafür ist es zu kostbar, zu herrlich. Und ich will nicht, daß unsere Kinder denken, was wir miteinander machen, sei unwürdig oder schmutzig oder irgend so was. Es ist nichts dergleichen.
Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, in jene Zeit zurückzudenken. Sie macht mir immer noch angst, sogar jetzt. Ringsend. Schon allein der Klang des Wortes weckt die Vergangenheit auf. Es gibt so viele Erklärungen. Wir beide verstehen, warum Du Dich so und nicht anders verhalten hast. Du weißt, aus was für einer »Familie« ich gekommen bin, aber ich glaube nicht, daß meine wunderbare Nell allzu glücklich wäre, wenn sie wüßte, was ihre Großmutter war. Ich habe nie erfahren, was aus ihr geworden ist, wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Der arme Jimmy. Als ich mit Nell schwanger war, hatte ich solche Angst, sie könnte auf die gleiche Weise behindert sein. Über all das nachzudenken, wäre ziemlich viel von ihr verlangt. Sie braucht diese Art von Angst und Sorgen nicht, nicht in ihrem noch so jungen Leben.
Ich glaube, deine Idee, die Tagebücher zusammenzubinden und dann das Ganze Nell und Danny zum Lesen zu geben, wenn sie dazu bereit sind, ist der beste Weg. Ich bringe all die alten Blöcke und Notizbücher mit, wenn ich komme. Jedenfalls, liebster Milo – und ich höre Dich lachen und sagen, was bist Du doch für eine kleine Ränkeschmiedin, Lily –, die Zeit, die du brauchen wirst, um sie zu binden, schenkt uns noch ein wenig länger unsere Zeit und unser geheimes Leben.
Morgen werde ich Dich sehen, mein Geliebter. Ich komme direkt vom Flughafen, mit dem Bus um zwanzig nach fünf, und am Sonntag fahre ich um die gleiche Zeit zurück. Und ich habe nicht vor, den Fuß vors Haus zu setzen. Vielleicht nicht einmal, nach unten zu gehen. Nell ist geschäftlich in Deutschland, aber wie dem auch sei, sie weiß nichts von meinen kleinen Ausflügen. Ich weiß auch nicht, warum, aber irgendwie scheint dies die Freude daran noch größer zu machen. Deine Lily.
29
Langsam drehte ich mich um und betrachtete das in hellem Blau gehaltene Schlafzimmer. Ich hielt meine Augen streng unter Kontrolle und konzentrierte mich auf die eher unpersönlichen Dinge. Schwere cremefarbene Vorhänge, hübsche weiß gestrichene Einbauschränke rechts und links von dem zugemauerten Kamin. Ein weißer Korbstuhl, eine alte Truhe für Bettzeug auf der einen und eine Kommode auf der anderen Seite des Bettes.
Das breite Bett, auf dem sie sich ihrer ekstatischen Leidenschaft hingegeben hatten, war abgezogen, und die Decken lagen säuberlich neben vier Kopfkissen gestapelt. Das Zimmer roch muffig. Fast wäre ich davongerannt.
Ich öffnete die Schränke; der eine diente als Kleiderschrank, der andere war in einzelne Fächer unterteilt.
Nichts weiter Besonderes, bis ich merkte, drei der Fächer waren für Lily bestimmt gewesen. Ich schloß die Augen und strich mit der Hand über ihre Sachen. Nur ein schwacher Duft ihres Parfüms entströmte ihnen, Unterlagen, Schmuckstücke oder irgendwelche Botschaften aus dem Jenseits fand ich jedoch nicht. Dann entdeckte ich zwei von Lilys Kostümen unter den dunklen Tweedanzügen Milos. Und dann haute es mich buchstäblich um. Ich fand mich
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