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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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deswegen meine Stelle verloren. Aber schauen Sie sie sich jetzt an.« Sie drehte sich um sich selber und führte ihren Bubikopf vor. »Und seitdem sind sie viel kräftiger, leichter zu bändigen.« Sie grinste. »Der Hut gefällt mir, Blau steht Ihnen. Die gleiche Farbe wie Ihre Augen.« Im Hinausgehen zwinkerte sie mir zu; sie war fast so gut wie der Gin – sie hatte mir eine kleine Gnadenfrist gewährt. Ich öffnete den Brief von Daniel.
     
    Ich weiß nicht, wie ich Dich anreden soll, Nell, weil ich nicht weiß, wo ich stehe oder wo wir stehen. Ich weiß, was ich empfinde, aber ich weiß nicht, ob ich das Recht dazu habe.
    Ich glaube, Dir ist klar, warum ich weggerannt bin – schließlich und endlich bin ich der Sohn meines Vaters. Es war nicht nur wegen der Arbeit. Ich mußte wieder zu mir selber kommen.
    Ich bin nicht ganz ehrlich zu Dir gewesen – ich habe die Tagebücher gelesen. Und ehe mein Vater gestorben ist, am Tag, ehe er gestorben ist, habe ich den Brief gelesen, den ich beilege. Es war mehr dieser Brief als das, was er gesagt hat, was mich bewogen hat, Dich zu suchen. Seine Worte haben mich zutiefst erschüttert. Ich weiß nicht so recht, warum ich so getan habe, als wüßte ich nichts von alldem. Vermutlich habe ich von Dir entweder eine Widerlegung oder eine Bestätigung erwartet, obwohl ich, ehrlich gesagt, nicht weiß, was von beidem ich vorgezogen hätte. Zu sagen, meine Empfindungen für meinen Vater seien durcheinandergeraten, wäre stark untertrieben.
    Ich schicke Dir seinen Brief, weil er ebenso für Dich bestimmt ist wie für mich. Ich hoffe, Du liest ihn, ehe wir uns wiedersehen. Daß sie alles vertuscht haben, weggelaufen sind, gelogen haben, war das Verhängnis unserer Eltern. Und fast auch Deines. Wenn es denn eine Zukunft für uns geben sollte, und ich wage kaum, es zu hoffen, dann möchte ich nicht, daß wir die gleichen Fehler machen. Oder auf diese Weise anfangen, wenn es denn einen Anfang gibt.
    Als Du im Delirium warst und ich an Deinem Bett gesessen bin, hast Du geredet. Ich glaube, Du weißt mehr, als Du gesagt hast. Ich glaube, Du bist Dir nicht mehr sicher, wem Du trauen kannst. Dein Mut – und noch vieles andere – beeindruckt mich zutiefst. Ich habe Angst davor, Dich zu verlieren, Angst sogar, Dir nicht einmal näher zu kommen.
    Das ist nicht, was ich eigentlich schreiben wollte, und auch nicht das, was ich sagen will. Donnerstagabend komme ich zu Dir ins Krankenhaus. Die Beerdigung ist am Freitag. Daniel.
     
    Ich zog Milos dicken Brief aus dem Umschlag, drehte ihn hin und her, öffnete ihn. Aber über die ersten paar Zeilen kam ich nicht hinaus.
     
    Ich habe Lily Sweetman getötet. Ich war nicht dabei, ich habe nicht den Wagen gesteuert, vom dem sie überfahren worden ist, aber es hätte genauso gut ich sein können. Und jetzt will ich nicht mehr leben. Ich bin dazu nicht in der Lage. Ich habe sie geliebt, oh, wie sehr ich sie geliebt habe. Sie war mein Leben, und ich bin schuld an ihrem Tod …
     
    Bedächtig faltete ich beide Briefe zusammen und steckte sie in den Umschlag zurück. Eine Schwester kam herein, um das Fieber und den Blutdruck zu messen sowie den Verband zu überprüfen. Sie gab mir meine Tabletten, legte mir nahe, mehr Wasser zu trinken, ermunterte mich, ein bißchen den Korridor entlangzuspazieren. Die Krankenhausroutine war unerbittlich, heilsam. Sie füllte die Zeit aus, füllte die Leere in meinem Kopf aus. Ich hatte durchaus nichts dagegen, wie schnell ich zu einem Teil der Institution wurde, ich unterwarf mich ihr.
    Etwa fünf Sekunden lang. Ich wartete, bis die Schwester gegangen war, dann zog ich Lilys Päckchen unter der Bettdecke hervor. Als erstes sperrte ich die Kassette auf und kramte darin herum. Das Ganze sah wie eine willkürliche Ansammlung von aus Heften herausgerissenen Seiten, Briefen von Milo und Zeitungsausschnitten aus. Ich ließ alles, wie es war, und steckte die Kassette hinter mein Kopfkissen.
    Dann entfaltete ich, mit bleischwerem Herzen, langsam den letzten Brief meiner Mutter an mich. Immer wieder las ich die ersten vier Worte, kostete die ungewohnte Zärtlichkeit ihrer Anrede aus. Nie zuvor hatte sie etwas anderes geschrieben als »Liebe Nell«.
     
    Nell, meine geliebte Tochter. Heute hat mich die Vergangenheit eingeholt, und ich habe Angst. Er hat mich überrumpelt. Ich weiß nicht, wie er mich gefunden hat, habe nicht daran gedacht, ihn danach zu fragen. Nicht ein einziges Wort habe ich herausgebracht, meine Lippen

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