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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Garnier geworden. Welcher Franzose konnte schon McDonagh aussprechen? Mir war Garnier recht.
    Ich habe den Direktverkauf vom Gut aus organisiert. Wir waren unserer Zeit ein wenig voraus; damals gab es noch keine Pauschalreisen und herumreisende Möchtegern-Weinkenner wie heutzutage.
    Das Weingut war zu klein, um unnütze Esser mitzuernähren, und mein fehlendes Bein hat mich als Bauer untauglich gemacht. Schließlich hab ich in einer Bücherei in Avignon Arbeit gefunden. Die Leute dort haben sich all meiner Fähigkeiten bedient und mir eine Menge beigebracht. Die Franzosen haben Respekt vor Handwerkern, und sie haben in mir ein umfassendes Interesse an der Herstellung und dem Drucken von Büchern geweckt. Ich hätte in Frankreich bleiben sollen, aber als es Schwierigkeiten in unserer Ehe gab, bin ich wieder weggerannt.
    Du hast nicht gewußt, daß meine Familie in Dublin einst eine Druckerei besessen hat. Es hatte seit jeher festgestanden, nach dem Tod meines Vaters würde ich sie übernehmen. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, wurde ich Lehrling bei seinem Drucker, Jack Reilly. Nein, mein lieber Junge, ich schweife nicht ab. Das ist sehr wohl wichtig.
    Mein Vater hat die Druckerei gehaßt, hat sie für unter seiner Würde gehalten. Er hatte am Trinity College Geschichte studiert und sich für etwas Besseres gehalten. Wie vor ihm sein Vater. Keiner von beiden hatte auch nur das geringste Interesse an der Druckerei. Auf die Weise sind zwei Generationen ausgefallen. Meine Schwester war ganz verrückt danach, die Firma zu übernehmen, sie hat Möglichkeiten gesehen, die unsere Eltern nicht sehen konnten. Mir hat einfach das Drucken Spaß gemacht. Sie war ungeheuer intelligent, ich nicht. Im Grunde genommen habe ich mich erst, nachdem ich weg bin, allmählich entwickelt. Mein Schwester war ziemlich herrschsüchtig, trotzdem habe ich sie vergöttert. Meine Mutter war äußerst unnahbar, und so war meine Schwester die einzige, die für mich da war, die für mich Zeit gehabt hat. Für sie wäre ich gestorben, wie man das heute so sagt.
    Mein Vater war ein Säufer. Er hat das Unternehmen ruiniert und es dann zur Hälfte an einen Mann namens Wilfrid Reynolds verkauft – oder praktisch verschenkt. Bei diesem Handel ist er hereingelegt worden, zumindest hat er das geglaubt. Wir sind in ein gemietetes Haus gezogen, meine Schwester und ich mußten unsere Privatschulen verlassen. In immer schäbigere Häuser sind wir gezogen, in immer ärmlichere Viertel. Meine Schwester hat jede Hoffnung aufgegeben, auf die Universität zu gehen, und hat Stenographie und Schreibmaschine gelernt. Sie hat es zutiefst gehaßt. Mit dreizehn hat man mich aus der Schule genommen.
    Als mein Vater gesehen hat, daß sein einziger Sohn Buchdruckerlehrling ist, war er entsetzt. Ich glaube, in dem Augenblick hat er begriffen, wie schlimm es wirklich aussah. Unsere letzte Rettung war es, als meine Schwester den Buchhalter überredet hat, sie als zweite Buchhalterin einzustellen. Wir hatten das Gefühl, das Handwerk irgendwie lernen zu müssen, mein Vater jedoch hat uns beschuldigt, ihn vor seinen Angestellten zu demütigen. Als ich fünfzehn war, ist er gestorben, wieder einmal sinnlos betrunken; er ist an seinem eigenen Erbrochenen erstickt. Und von da an ist es mit meiner Mutter wirklich bergab gegangen.
    Als Reynolds die Druckerei übernahm, hat er als erstes meine Schwester und mich gefeuert. Es bedürfte vieler Seiten, wollte ich erklären, warum wir ihm gegenüber machtlos waren, du mußt es mir also einfach glauben. Denn damit haben unsere eigentlichen Schwierigkeiten begonnen. Meine Schwester hat einen Plan ausgeheckt, um das Familienunternehmen zurückzubekommen.
    Mich hat Joshua Handl gerettet, der hinter seinem Buchladen eine kleine Privatpresse und Buchbinderei hatte, ganz in der Nähe, in Ringsend. Du kannst nicht wissen, was für ein lachhafter Standort das für einen Buchladen war, aber Flüchtlinge aus Nazideutschland hatten in den Dreißigern nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten. Er war ein ehrenhafter und bemerkenswerter Mensch und wurde von jenen, die den Weg zu seinem Laden fanden, bald als solcher erkannt. Von ihm habe ich alles gelernt, und ich habe ihn verehrt.
    In der Nacht des 31. Mai 1941 wurde Buller Reynolds in der Daedalian Road ermordet. Aus Gründen, die hier keine Rolle spielen, war ich ihm von der Druckerei aus gefolgt. Es war sehr dunkel. Ich hatte mich auf der anderen Straßenseite hinter den Büschen versteckt. Er ist

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