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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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vor dem Buller Reynolds ermordet worden war. Sie waren jetzt nicht mehr allein. Ein oder zwei Frühaufsteher tauchten aus den Häusern auf. Der Frühzug rumpelte laut pfeifend und mächtige Dampfwolken ausstoßend vorbei. Vorhänge wurden aufgezogen und Fenster geöffnet. Ein von einem Pferd gezogener Milchkarren zuckelte gemächlich vorbei; die eisenbeschlagenen Räder machten einen Heidenlärm, wenn sie in die Schlaglöcher hineinrasselten.
    Kurz vor acht hielt am Ende der Straße ein Militärlastwagen an und setzte eine Gruppe Helfer ab, ehe er mit laut einrastenden Gängen weiter die Daedalian Road hinunterfuhr. Unmittelbar vor O’Keefe blieb er erneut stehen. Die hintere Klappe war offen. Müde kletterten zwei Männer heraus und stolperten wie Schlafwandler auf die Häuser zu. Beide hatten Spaten geschultert.
    »Wart wohl drüben auf dem North Strand?« fragte O’Keefe, als sie an ihm vorbeigingen. Schwerfällig nickten sie; ihre verrußten Gesichter waren kantig vor Erschöpfung, ihre Augen ausdruckslos, leer.
    »Es ist grauenhaft. Überall liegen zerfetzte Kinderleichen rum«, brach es aus einem der beiden hervor. Sein Kumpel ging vor ihm in die Nummer elf, ohne ein Wort zu sagen, und knallte hinter sich die Tür zu.
    »Wir haben da Beine und Arme rausgezogen. Und einen Kopf. Jemand hat einen Kopf gefunden …« Der junge Mann wischte sich mit seinem verdreckten Ärmel über die Augen, dann machte er eine ungeduldige Handbewegung. »Was soll’s«, fügte er leise hinzu. Er drückte gegen die Tür, und als er sie verschlossen fand, zog er ein Stück Schnur aus dem Briefkasten und sperrte mit dem daran festgebundenen Schlüssel die Tür auf. O’Keefe nahm seinen Helm ab und kratzte sich am Kopf.
    Als der Lastwagen weiterfahren wollte, starb der Motor ab. Der Fahrer unternahm etliche Versuche, ihn wieder anzulassen, und als das fehlschlug, stieg er aus der Fahrerkabine und kurbelte ihn an. Weil der Motor immer noch nicht anspringen wollte, blieb der Fahrer ein paar Minuten bei Sergeant O’Keefe stehen, ehe er es noch einmal versuchte. Da die hintere Klappe heruntergelassen war, konnte man die restlichen Mitfahrenden, die es sich weiter hinten den Umständen entsprechend bequem gemacht hatten, leicht überblicken. Hanora McDonagh lag mit dem Kopf auf dem Schoß ihres Bruders da; sie schlief offenbar. Myles schlug die Augen auf und blickte träge um sich. Er sah aus, als sei er eben erst aufgewacht und wisse nicht, wo er war.
    Lily beobachtete aufmerksam, wie ihr geliebter Milo allmählich seine Umgebung wahrnahm. Als jedoch sein verschickter Blick dem ihren begegnete, ließ sie sich nicht anmerken, daß sie ihn erkannte. Sie sah genau zu, wie er sich heruntergleiten ließ und eine Decke über sich zog. Eine Sekunde zu spät. Gerade ehe sein Gesicht nicht mehr zu erkennen gewesen wäre, kam Dolly Brennan mit zwei dampfenden Bechern Tee aus dem Haus. Der Lastwagen fuhr an, ehe sie dazu kam, sich die Mitfahrer genauer anzusehen. Fast, aber nicht ganz. Sie wollte gerade O’Keefe den Becher geben, als sie mit etwas Verspätung reagierte. Aufgeregt deutete sie zu den Passagieren auf dem Lastwagen. Zu ihrem großen Unbehagen bemerkte Lily, wie O’Keefe sich mit einiger Aufmerksamkeit anhörte, was sie sagte. Allerdings machte er keinerlei Anstalten, den Lastwagen anzuhalten. Statt dessen nahm er, ungeachtet ihres lautstark zum Ausdruck gebrachten Zorns, seine Arbeit wieder auf.
    Martin Vavasour setzte sich neben Lily auf den Randstein; sie spähte angestrengt zu dem Lastwagen hinüber, um zu sehen, wer oder wie viele noch auf ihm saßen.
    »Hast du das gehört? Glaubst du, daß viele tot sind?« flüsterte sie, während sie beobachtete, wie der Lastwagen langsam weiterfuhr.
    »Es war eine grauenhafte Explosion. Du hast ja gehört, was der Mann gesagt hat. Ich weiß es nicht, Lily. So Gott will, waren es nicht allzu viele. Aber jetzt hör mir mal zu, Lily. Warst du überhaupt im Bett?«
    Lily schürzte die Lippen und schüttelte langsam den Kopf. »Ich wollte Jimmy nicht aufwecken«, erklärte sie unschuldig und sah ihn aus dem Augenwinkel an.
    »Hör auf, mich zum Narren zu halten, Lily, sag mir, was du hier machst.«
    »Nichts.«
    »Nichts? Gott bewahre uns vor allem Übel, Lily, aber ich bin völlig fertig, und wenn du so daherredest, geht es mir gleich noch schlechter.«
    Ernst blickte sie zu ihm auf. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Wimpern verklebt von kleinen gelben Kügelchen. Das normalerweise rosige

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