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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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»Hervorragend, wirklich hervorragend. Ich wünschte, jeder wäre ein so guter Beobachter wie Sie.«
    »Mein Gott«, brach es aus mir heraus, »ich kann es einfach nicht fassen, wie leichtgläubig ich war.«
    Onkelhaft tätschelte er mir den Arm. »Nehmen Sie’s nicht so schwer.«
    »Sie haben so respektabel ausgesehen.« Selbst in dem Augenblick, als ich das sagte, war mir klar, ich glaubte ihm seine Erklärung nicht. Mein Verstand sagte mir, er könnte sehr wohl recht haben, aber mein Instinkt riet mir etwas anderes. Ich glaube, das war vielleicht der Augenblick, in dem ich begann, die einzelnen kleinen Vorfälle in eine Art Zusammenhang miteinander zu bringen. Derart gedankenverloren war ich, daß ich nicht einmal merkte, daß er weitersprach, und ich bekam auch nicht gleich mit, in welche Richtung seine Äußerungen zielten. Mir fiel nur auf, sein Tonfall war schärfer geworden.
    »… seien Sie also vorsichtig, was Sie über Mrs. Hanrahan sagen. Sie waren lange Zeit weg, stimmt’s? Das merke ich an Ihrem Akzent. Vielleicht haben Sie vergessen, wie es hier zugeht. Dublin kann erstaunlich klein sein, verstehen Sie? Und empfindlich. Jeder kennt hier jeden. Sie ist eine geachtete Geschäftsfrau, allgemein bekannt, sehr erfolgreich. Und da, wo es darauf ankommt, hat sie großen Einfluß. Sie gehört allen wichtigen Wohltätigkeitsvereinen im Land an und hat die halbe Regierung in der Tasche. Ein großes Tier, ja, das ist sie. Haben Sie das nicht gewußt?« Es klang irgendwie ungläubig.
    »Nein.« Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Das Ganze klang wie eine Warnung, auch wenn sie noch so vorsichtig formuliert war. Ich hatte ihn offenbar in eine schwierige Lage gebracht.
    »Hat Ihre Mutter sie gut gekannt?«
    »Sie hat für sie genäht. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß es weiter ging als das.«
    »Nein. Das erscheint mir auch so. Ich bin ihr selber ein-, zweimal begegnet. Unglücklicherweise. Ein herrisches Miststück, wenn Sie den Ausdruck gestatten.« Sein verschwörerisches Grinsen konnte mein Vertrauen nicht wiederherstellen. Beide saßen wir schweigend da, bis ich anbot, ihm noch ein Glas Guinness zu holen.
    »Nein, besten Dank. Ich fürchte, ich muß wieder an die Arbeit.«
    Er sah mich an, als wolle er etwas wiedergutmachen. »Miss Gilmore, ich weiß, das ist für Sie sehr schmerzlich, aber ich möchte Ihnen unsere Position klarmachen. Der Tod Ihrer Mutter wird nach wie vor untersucht. Der Wagen, der sie angefahren hat, wurde beschädigt, und am Tatort hat man einige Spuren gefunden. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie lange es dauert, bei allen Reparaturwerkstätten im Land nachzufragen, aber falls das nötig ist, werden wir es machen. Bislang konzentrieren wir uns auf Dublin; diese Ermittlungen haben wir umgehend aufgenommen. Fälle von Fahrerflucht nehmen wir sehr ernst, wirklich. Aber es ist keine Morduntersuchung, zumindest noch nicht. Ich nehme Ihre Zweifel zur Kenntnis, aber, ehrlich gesagt, ich glaube, Sie haben mir nichts geliefert, das auch nur im entferntesten Hand und Fuß hat. Also«, er beugte sich zu mir und verlieh dem, was er sagte, dadurch Nachdruck, daß er mit dem Finger mehrmals auf den Tisch pochte, »wenn Sie mit etwas Aussagekräftigerem aufwarten können, mit irgend etwas, dann müssen Sie sich mit uns in Verbindung setzen. Unverzüglich.«
    »Tut mir leid, daß Sie wegen mir Ihre Zeit verschwendet haben«, murmelte ich.
    Traurig sah er mich an. »Wenn ich Ihnen dieses Gefühl vermittelt habe, bedaure ich das.« Er sagte das sehr ernst, vielleicht sogar ein wenig entschuldigend. »Sie haben völlig recht, diesen beiden Kerlen zu mißtrauen. Ich habe Ihnen ja bereits versprochen, nachzusehen, was ich über sie aufstöbern kann. Ich kenne ihre Namen, und Sie haben mir eine gute Beschreibung gegeben.« Es muß uns beiden gleichzeitig eingefallen sein, daß sie möglicherweise nicht ihre wirklichen Namen benutzten, denn wir sahen einander mit großen Augen an, aber keiner sagte ein Wort.
    An der Tür des Pub verabschiedeten wir uns; er sprang auf einen vorbeifahrenden Bus in die Innenstadt, während ich mich in den zähen Verkehr in umgekehrter Richtung einordnete. Vielleicht lag es am Gin, auf jeden Fall war ich jetzt mit Sicherheit ruhiger. Langsam und so konzentriert wie möglich fuhr ich nach Hause und schob den Gedanken beiseite, daß ich in meiner Heimatstadt als eine Fremde betrachtet wurde. Ich wollte, verdammt noch mal, weg von hier, nicht nur für ein paar

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