Fallende Schatten
Gardaí in Donnybrook, daß jeder, der möglicherweise Zeuge des Vorfalls wurde oder etwas darüber weiß, sich meldet.
Etliche frustrierende Stunden verbrachte ich damit, die Zeitungen der darauffolgenden zehn Tage zu durchforsten, fand aber sonst nichts.
Am Abend versuchte ich, die Abrechnungen meiner Mutter durchzusehen, aber ich war zu müde, um aus ihnen schlau zu werden. Schließlich gab ich es auf und ging ungefähr um ein Uhr morgens ins Bett. Auf der Stelle verfiel ich in einen traumlosen Schlaf und wachte erst auf, als um elf Uhr vormittags das Telefon klingelte. Es war ein ziemlich abweisender Davis, der ohne große Vorrede verkündete, er gehe geschäftlich für ein paar Monate nach Hongkong. Sofort. Er klang, als rechne er damit, daß ich ihn umstimme, aber ich tat es nicht. Wir führten eine dieser schrecklichen Unterhaltungen, bei denen man über alles redet, nur nicht über das, was einem am meisten am Herzen liegt. Ich glaube, wir wußten beide, wir hatten eine Art Rubikon überschritten, waren aber nicht dazu aufgelegt, das zuzugeben. Oder brachten es einfach nicht fertig. Plötzlich war da anscheinend nichts mehr zwischen uns.
»Nell, können wir das alles klären, wenn ich zurückkomme?« fragte er – endlich. Ich seufzte. Mir war immer noch nicht klar, was ich eigentlich wollte.
Ich richtete mir ein spätes Frühstück und setzte mich wieder vor Lilys Abrechnungen. Beide Spalten. Meine Mutter hatte über ein beträchtlich höheres Einkommen verfügt, als ich gedacht hatte. Das überraschte mich. Sie war nicht, wie ich eigentlich erwartet hatte, stückweise bezahlt worden. Annähernd fünfzehn Jahre lang hatte meine Mutter ein regelmäßiges, alle zwei Monate überwiesenes Einkommen gehabt. Nicht gerade überwältigend, aber im Vergleich zu ihren Rechnungen für Näharbeiten doch einigermaßen verblüffend. Auf einem separaten Konto. Fünfhundert Pfund alle zwei Monate. Eine ganze Menge, vor allem weil es keine Erklärung dafür zu geben schien.
Und neben diesen Zahlungen waren in ihren Rechnungsbüchern fein säuberlich regelmäßige Schecks, wenn auch über unterschiedliche Summen, verzeichnet und gegen Ausgaben für Schneiderbedarf verrechnet. Ziemlich ansehnliche Summen waren auf Konten vier unterschiedlicher Bausparkassen geflossen, zwei davon in London. Alles in allem war ich um ungefähr achttausend Pfund besser dran, als ich gedacht hatte. Was als Scherflein für eine Witwe eine recht ansehnliche Summe war.
Noch eine kleine Überraschung erwartete mich. Obwohl ich eine Zeit lang brauchte, bis ich das wirklich Wichtige daran erfaßte. Ich zog gerade die laufenden Kosten ab, als mir einfiel, ich könnte bei der Telefongesellschaft nachfragen, ob sie mir einen nach Einzelgesprächen aufgelisteten Ausdruck ihrer letzten Abrechnungen zukommen lassen könnten. Das würde mir helfen festzustellen, mit wem, außer mir, sie in Verbindung gestanden hatte. Im Haus hatte sie keinerlei Hinweise hinterlassen, keine Notizen, keine Briefe, keine Kritzeleien auf dem Block neben dem Telefon.
»Normalerweise machen wir so etwas nicht. Das wird erst im kommenden Jahr als normaler Service eingeführt. Sie müßten eine gewisse Gebühr entrichten.«
Und ein paar Tage darauf warten natürlich.
»Wir schicken sie am 24. raus. Ein paar Tage später müßten Sie sie dann bekommen.«
»Wenn ich jetzt gleich zu Ihnen ins Büro komme, würden Sie mich sie dann einsehen lassen?« Atemlos haspelte ich eine Geschichte von wegen Dringlichkeit und plötzlichem Tod meiner Mutter herunter, sogar den Hund hätte ich noch ins Spiel gebracht, wenn ich geglaubt hätte, das würde etwas bringen. Sie ließ mich drauflosquasseln.
»Selbstverständlich«, erklärte sie höflich, als mir der Dampf ausgegangen war. »Sie hätten mich nur zu fragen brauchen. Bringen Sie einen Ausweis mit.«
Ich sah die Ausdrucke für die letzten drei Quartale durch, bis Anfang Januar. Lily hatte, wie ich aus eigener Erfahrung wußte, nur selten telefoniert. Vor allem internationale Telefonate hatte sie nur ganz wenige geführt. Und zwar alle an meine Nummer, außer zweien. Ich überprüfte beide. Das eine war nach Australien gewesen – ihr alljährlicher Anruf bei meinen Stiefbrüdern. Das zweite, ein langer, teurer Anruf – wahrscheinlich hatten sie sie ewig warten lassen – beim Busterminal in Heathrow. Was das zu bedeuten hatte, konnte ich nicht einmal erraten.
Die lange Liste Dubliner Nummern legte ich beiseite, um sie später
Weitere Kostenlose Bücher