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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Fleischtheke gereicht wird. Doch all diese Fragen waren Nebensache, hatten Zeit bis später. Wichtig war, sie jetzt so schnell wie nur möglich zurück in ihren Schlafsack zu bringen. Heiße Suppe in sie zu kippen. Sie aufzutauen, irgendwie.
    Für einen kurzen Moment dachte ich daran, mir den leblosen Körper über die Schulter zu werfen, doch dann stoppte ich schon im Ansatz. Man muss es versucht haben, um sich von diesen heroischen Filmbildern zu verabschieden. Stattdessen rüttelte ich sie energisch, verpasste ihr eine oder zwei Ohrfeigen. Und siehe da: Sie schlug die Augen auf. Sie sah mich an. Nahm, sichtlich verwirrt, das Ambiente in Augenschein. Ihre Aufmachung. Mich, ihren Retter, über sie gebeugt in sorgenvoller Barmherzigkeit, aller klappernden Zähne zum Trotz.
    Und sie öffnete den Mund und schrie gellend um Hilfe.

Kapitel Sechs
    »Unwägbarkeiten, wie Reifenplatzer oder Kollisionen,
    gehören zur Mythologie der Rennsports
    wie Steinschläge und Lawinen zur Mythologie des Bergsteigens.«
    GERHARD BERGER
     
    »Was haben Sie vor?!«, schrie Doktor Zwölfenbein und fuhr sich mit seiner bonbonrosa Zunge nervös über seine namensgebende Zahnleiste, »was genau ist der Sinn Ihrer Aktionen?«
    Ich betrachtete ihn mit einiger Kühle, wie er dampfend, gestikulierend, ratlos hin- und her stapfte, der Kopf rund und rot wie ein Sonnenuntergang am Strand von Waikiki.
    »Wollen Sie uns alle umbringen? Sagen Sie mir eins: Sind Sie wahnsinnig?«
    Gute Frage aus dem Mund eines Psychiaters, dachte ich. Sag du's mir, Dickerchen. Bevor dir die Runkel platzt.
    Ich hatte ihm meine Version des Geschehens selbstverständlich schon geschildert, doch er hatte nur Ohren gehabt für das unzusammenhängende, hysterische Gebabbel seiner Kollegin. So ließ ich ihn weiterwüten, hing meinen Gedanken nach, bereute zutiefst, bereute inniglich, nach dem Pissen nicht sofort wieder in den Schlafsack gekrochen zu sein, und beobachtete nebenbei meine Mitreisenden.
    Wer zu beobachten war, hieß das. Alexander und das Rattengesicht und Sigismund Piepenkopp waren im Zelt damit beschäftigt, Leben zurückzumassieren in Frau Doktor Marxens Gliedmaßen, während Christine mit der Erwärmung von Wasser und Suppe beschäftigt war. Der Rest stand und hockte herum für ein weiteres vorfrühstückliches Tribunal. So gut wie alle trugen die Züge von Partygästen am nächsten Morgen, diese in ihr Gegenteil verkehrte Hochstimmung, Endergebnis eines wieder mal allzu lustig ausgefallenen Abends. Was in unserem Fall bei Gott nicht zutraf. Wieso dann diese verkaterten Mienen? Am Geschrei des Doktors alleine konnte es nicht liegen. Was er zu sagen hatte, kochte sowieso auf ein Problem herunter: seine Unsicherheit, ob er das Experiment nun abbrechen sollte oder nicht. Und damit, wie sich schon bald herausstellen sollte, auf seinen Irrglauben, es ließe sich überhaupt noch abbrechen.
    Christine hastete vorbei, einen Napf Hühnerbrühe über den unebenen Grund balancierend, zurück zu ihrem Zelt, aus dem man das Klagen der unterkühlten, doch ansonsten sehr lebendigen Ärztin hören konnte, und sah mich im Vorbeilaufen einmal kurz und intensiv an.
    »Tu was«, raunte sie mir zu, und ihre Hände zitterten, dass die Suppe nur so zu Boden pladderte, »oder wir werden alle sterben.«
    Was?, dachte ich. Ich?, dachte ich. Wieso sagt sie mir das? Woher dieses Vertrauen, trotz aller Anschuldigungen, und von welcher Seite sah sie die Gefahr kommen? Und was genau sollte ich tun? Doch als ich nachfragen wollte, kam sie mir mit einem heftigen »Ha!« zuvor und wand sich dann hinein ins Zelt.
    »Wenn es Ihnen nur darum geht, Ihre Flucht vorzubereiten, dann lassen Sie sich von uns nicht aufhalten! Nehmen Sie, was Sie brauchen, und gehen Sie!« Der kleine Dicke deutete einladend in verschiedene Richtungen. »Fühlen Sie sich frei! Ja, Sie haben sogar mein Verständnis, denn Sie haben durch Ihr
    Verhalten Ihre sämtlichen Chancen auf ein positives Gutachten von meiner Seite schon lange zunichte gemacht. Sie sind nicht resozialisierungsfähig, Kryszinski, Sie sind ein gefährlicher Soziopath, und falls Sie sich zum Bleiben entscheiden, werde ich Sie fixieren müssen.«
    Ein kurzes Zittern ging durch die Gruppe, die mich, warum auch immer, adoptiert zu haben schien: Egon an meiner linken Seite, anscheinend unbeeindruckt von allen Anschuldigungen gegen mich, Alfred kurz dahinter, und Uwe erregte sich rechts von mir, dass ihm der Schaum bald aus dem Maul lief.
    Fixieren ist

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