Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Antwort in meinem Kopf. Weil die meisten der rund zwei Dutzend Muskeln, die dir zur freien Verfügung stehen, um nächtelang unzusammenhängenden Blödsinn zu lallen und deiner hauptsächlich von Drogen bestimmten Gefühlswelt rund um die Uhr mimischen Ausdruck zu verleihen, in seinem Kopf spastisch gelähmt sind. Darum.
    »Das Ding muss sofort runter«, entschied ich und suchte das Schneetreiben um uns nach der kleinen dicken Figur des Psychologen ab, der die Schlüssel eingesteckt hatte.
    Alles, was ich zu sehen bekam, waren kleines dickes Egon und großes breites Alfred, die sich ständig in unserer Nähe aufhielten, ob aus Sympathie oder weil sie wussten, dass ich noch zwölf Tafeln Schokolade mit mir herumtrug, machte eigentlich keinen Unterschied.
    »Weifenheim?!«, brüllte ich und konnte eigenartigerweise spüren, wie sich der Schall ausbreitete und verging. Einziges antwortendes Geräusch war ein elektronisches Fiepen und die wehklagende Prognose der Ärztin, dass es wohl noch Tage dauern würde, bis sie ihre normale Körpertemperatur wieder erreicht habe. Für einen kurzen Moment war ich bei Ernesto Che, auf dessen Schultern die hinteren Enden der beiden Rohre lasteten, die wir unter ihrem genau wie unter Horsts Rollstuhl befestigt hatten, und bei Alexander, der die Vorderenden gepackt hielt, und gönnte ihnen ihr Schicksal, als Ausgleich für die Handfessel, die sie mir verpasst hatten, und fand damit zurück zum aktuellen Problem.
    »Das Ding muss runter«, wiederholte ich, entschlossener und ratloser denn je.
    Uwe gurgelte etwas, ruderte mit dem freien Arm, oszillierte seinen Kopf auf dem Nacken, rückte mir wieder enger auf die Pelle und fummelte schließlich umständlich und ungeschickt an der Front meines Parkas herum.
    Was hat er denn jetzt?, fragte ich mich, bis ich merkte, dass er an meinen schon längst nicht mehr wahrgenommenen >Fuck Chirac<-Button wollte.
    »Was ist damit?«, fragte ich und half ein bisschen mit. »Gefällt er dir? Kannste haben.«
    Uwe seufzte ein, wie ich fand, unangemessen nachsichtiges Seufzen. Grimassierend vor Anstrengung, nicht nur seiner Finger, sondern auch seiner in einem ein Eigenleben führenden Kopf wohnenden Augen bog er die Nadel um, bis sie in einer Ebene mit dem Button über dessen Rand hinausragte.
    Und als Nächstes rammt er dir das Ding in den Augapfel und lacht schauerlich.
    Und als Nächstes führte er die Nadel seitlich in die Handfessel, ein Geräusch wie ein Gangwechsel beim Fahrrad folgte, und Uwe rieb sich sein malträtiertes Handgelenk, während ich mit der von meinem hochgehaltenen Arm baumelnden stählernen Fessel alleine dastand. Und mir der Schnee hereinwehte, in den offen stehenden Mund.
    »Das ist alles?«, fragte ich, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte. »Das ist alles?« Die vielen Stunden meines Lebens, die ich (unschuldig) in Handschellen dahockend zugebracht hatte, kamen mir in den Sinn, und etwas wie heiße Scham kam mit ihnen. »Alles, was es braucht, ist eine Nadel, einen Nagel, einen Zahnstocher, eine, gottverdammt noch mal, eine aufgebogene Büroklammer und - ich sah Uwe an, und er erwiderte meinen Blick mit der Langmut, die Überlegenheit so mit sich bringt. Hinter mir boxten sich Egon und Alfred gegenseitig in die Rippen und wieherten verstohlen vor sich hin. Ich hätte sie gerne mit einem tödlichen Blick bestrichen, doch Uwes Augen hielten meine fest. Sie waren von der Farbe frischen Motoröls - Blödsinn. Da war mehr dahinter. Mehr Leben drin als in einem dickflüssigen Schmiermittel. Cognac, ja. Schon eher. Uwes Augen hatten die Farbe alten Cognacs in einem runden Schwenker, mit goldenen Tupfen, wo sich das Licht brach, und sie blickten klar und verstehend, wach und intelligent, und wenn man genau hinsah, sogar mit einigem Feuer.
    Ich musste mich wegdrehen. Ein Stechen durchfuhr mich, das nichts mit körperlichen Empfindungen zu tun hatte.
    Stell dir vor, dachte ich, du wärst in so einem - brach dann ab und fing noch mal ganz von vorne an:
    Stell dir vor, du wärst so klar, so verstehend, so wach und so intelligent. Ja. Und dann stell dir vor, du wärst in so einer Hülle gefangen.
    Und alles, was Stephen King je geschrieben hat, verliert plötzlich ein bisschen an Effekt.
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich, um mich davon abzulenken, dass winzige und um Hilfe schreiende Föten in der kochenden Suppe schwammen.
    »Tom«, antwortete das Rattengesicht und streute den Ungeborenen Pfeffer in die Augen.
    Das

Weitere Kostenlose Bücher