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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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>fesseln< in Anstaltsdeutsch, zumeist auf ein Bett, stramm und mit sämtlichen Extremitäten. Nicht so schön, wenn man sich, und sei es nur für Sekunden, in die Position des Fixierten hineinversetzt. Den es, um nur das allerharmloseste denkbare Szenario zu entwerfen, irgendwo juckt.
    Bis dahin hatte ich im Hinterkopf die beiden Möglichkeiten gegeneinander abgewägt: über die nach wie vor von gefrorenem Regen überzogenen Steilhänge den Rückweg anzutreten oder unter der Regie eines übergeschnappten Psychoanalytikers mit diesem von Augenblick zu Augenblick mörderischere Züge annehmenden Experiment fortzufahren. Nun kam noch eine dritte Variante ins Spiel: ob er wohl durch einen Tritt in den Bauch zur Räson zu bringen sei.
    »Oh mein Gott! Seit der Geburt meiner Kinder musste ich nicht mehr solche Schmerzen ertragen!«
    Und ich erst, dachte ich, zog einen weiteren Hering heraus und steckte ihn in den Sack, der um Uwes Hals hing.
    »Als ob mir Tausende von glühenden Nadeln ins Fleisch getrieben würden! Und wozu das Ganze? Wozu, frage ich? Nicht nur, dass ich zusehen muss, wie mir die Muskulatur verkümmert, nein, jetzt wird man mir höchstwahrscheinlich auch noch einen Teil meiner Finger und Zehen amputieren. Und alles nur, weil ich helfen wollte, helfen! Hätte ich mal auf meinen Sohn gehört, als er sagte: >Mutter! Ich flehe dich an, aber gehe nicht auf diese Reise! Es ist in deinem Zustand einfach zu gefährlich, und ich wäre nicht in deiner Nähe, um dir beizustehen, solltest du in Not geraten.< Ach, er hatte ja so Recht! Er ist ein guter Junge, mein Isidor-Vincent. Hat gerade erst seinen Magister der Jurisprudenz hinter sich gebracht. Summa cum laude, nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte. Meine Tochter hingegen - aber das ist ein anderes Thema. Nur so viel: Die wäre wahrscheinlich froh, wenn ich das hier nicht überstehe. Ach, nun seien Sie doch etwas vorsichtig! Was soll das überhaupt? Geht es etwa weiter? Ohne dass mich jemand gefragt hätte?! Oh nein, aber auf gar keinen Fall! Ich denke nicht, dass ich in meinem Zustand transportfähig bin.«
    Während sie drinnen im Zelt die Ärztin, so warm es nur ging, einpackten, bauten wir ringsum das Lager ab. Leichter, trockener Schneefall umstäubte uns. Der Winter schien ernst machen zu wollen.
    Sein Herannahen hatte eine Welle überstürzter Entscheidungen mit sich gebracht, die strukturelle Änderungen und klarere Polarisierungen nach sich zogen.
    Die erste Schockwelle kam mit der Entdeckung, dass mein Handy verschwunden war.
    Gestern erst hatte man mich davon getrennt, und heute schon war es weg, unauffindbar. Wie die Pillen.
    Die zweite kam mit der Erkenntnis, dass damit unser, so abstrus das auch klingen mag, letzter und einziger Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten war. Ein Blick in die grau, dunkel und nur knapp über unseren Köpfen dahinziehenden Wolken, und unserem letzten und einzigen verbliebenen Führer war es gewaltig mulmig geworden.
    Denn, und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Vor Antritt unseres kleinen Ausflugs in die Welt der Berge war ausgemacht worden, dass sich niemand groß um uns zu sorgen brauche, solange wir von uns aus keinen Notruf abschickten. Der Survival-Charakter war als das entscheidende Moment der Veranstaltung erachtet worden. Je schwieriger die Bedingungen, desto größer unsere Chance der Bewährung.
    Jetzt wurde es schwieriger, und der Psychologe wirkte, als wäre ihm gerade das erste Mal die deutsche Übersetzung und damit die Bedeutung von >Survival< bewusst geworden.
    Geradezu erleichtert hatte er das mit gewichtiger Miene und viel Gezutzel am Pfeifenstiel vorgetragene Angebot des Piepenkopps akzeptiert, ihm bei der Entscheidungsfindung beratend zur Seite zu stehen.
    Seither hatte der Doktor nicht mehr viel zu melden.
    Es wurde entschieden, entlang der Felswand weiterzuziehen. Also beinahe 180 ° konträr zur ursprünglich geplanten Richtung. Bei Minustemperaturen und wenn auch sachtem, so doch beständigem Schneefall. Bergauf.
    In einer bis dato undenkbaren Allianz bezweifelten Frau Doktor Marx und ich die Weisheit eines solchen Plans und bemängelten das wenig demokratische Zustandekommen dieser Entscheidung.
    Denn plötzlich hatten die Kriminellen das Sagen, auch wenn sie den Doktor als Sprachrohr nutzten. Die Kriminellen minus Kristof Kryszinski, sollte ich vielleicht hinzufügen. Der wurde, genau wie die Ärztin, ins Lager der Unmündigen abgeschoben.
    Unsere Kritik wurde demnach einfach

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