Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
beiseite gewischt. Woraufhin Frau Doktor und ich den Schulterschluss übten, spontan und zu unser beider Überraschung, und obendrein noch eine erste Gemeinsamkeit an den Tag legten: den Hang zu hartnäckigem, trotzigem Widerstand.
    Es änderte nichts, aber zumindest ließ man sich herab, uns zu informieren.
    Anhand einer im Schoß der Rollstuhlfahrerin ausgebreiteten topografischen Karte zeigte uns Sigismund mit seinem Pfeifenstiel, wo wir uns befanden, wo wir herkamen und wohin wir nun unterwegs waren. Bis dahin war mir das alles vollkommen wurscht gewesen, doch nun studierte ich das Linienwerk mit intensivem Interesse. Durch unsere Anreise mit dem Auto bis zum Wendekreis war es zurück, zumindest auf der Karte, wesentlich weiter bis zur nächsten Ortschaft als voran. Selbst wenn es zunächst bergauf ging.
    »Aber es schneit«, gab ich zu bedenken. Der Weg, dem wir bisher gefolgt waren, war schon lange kein Pfad im herkömmlichen Sinne mehr, sondern nichts als eine Abfolge von hier und da gegen Felsoberflächen gepinselter rotweißer Streifen. Viele davon noch nicht mal in Kniehöhe.
    »Wer soll uns führen, wenn wir die Markierungen aus den Augen verlieren?«
    Das solle ich ruhig seine Sorge sein lassen, meinte Sigismund und blickte sinnend in den Kopf seiner Pfeife. Er habe hier in der Gegend früher öfter mal Urlaub gemacht und kenne sich einigermaßen aus.
    »>Öfter mal< und >einigermaßen<«, keuchte ich. »Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum ich vorhin noch solche Bedenken gehabt habe.« Uwe an meiner Seite antwortete mit einem Schnaufen, in das sich ein leichtes Gurgeln gemischt hatte. Er kämpfte, wie wir alle, mit einer zu großen Last für diesen steilen Anstieg. Wir schleppten die Hälfte der Ausrüstung und hatten einen Toni weniger, uns dabei zu unterstützen. Sigismund Piepenkopp und Ernesto Che gingen allen voran, auf der Suche nach dem richtigen Weg und der erstbesten halbwegs ebenen, halbwegs windgeschützten Stelle, um das Lager aufzuschlagen, die Schwächeren in Zelten unterzubringen und dann den Rest der Ausrüstung nachzuholen. Wir alle folgten mehr oder weniger ihren sich hangaufwärts windenden Fußspuren im dünnen, trockenen, den Launen des Windes gehorchenden Schnee.
    Es war richtig kalt. Frost, der in die Nase biss wie ein wütendes Frettchen. Unser Atem flatterte sichtbar, Eiskristalle setzten sich in Brauen, Dreitagebärten und auf jeder waagerechten Falte unserer Klamotten ab. Das Geröll unter unseren Füßen rutschte mit jedem Schritt um ungefähr die Hälfte der gewonnenen Höhe zurück, was einen mit tiefem, zähneknirschendem Groll erfüllte.
    Und der unerklärliche Eindruck, dass sich jeder einzelne meiner Fußstapfen hinter mir mit Blut füllte, machte die Sache für mich nicht angenehmer.
    Irrationale Attacken von Angst schlappzumachen, umzusinken und zusehen zu müssen, wie mich der Schnee bedeckte, bis ich Teil der Landschaft geworden war, und gleichzeitig eine warme Vorausahnung von Frieden rieben mich auf wie Schüttelfröste und Hitzewallungen einen Fieberkranken.
    Keuchend, fluchend, spuckend kämpfte ich mich voran, Uwe wie ein Sechzig-Kilo-Schatten immer an meiner Seite. Wenn ich ausrutschte, rutschte auch er, wenn ich mit den Armen ruderte, ruderte er mit, wenn ich mich einen Moment sammelte, brennenden Schweiß aus meinen Augen zwinkernd, stand er bei mir, mit fliehendem Atem, Schweiß in den Augen, Blasen um den Mund.
    »Das nervt«, sagte ich zu ihm. »Wir hätten uns niemals darauf einlassen sollen.« Doch Frau Doktor Marx, die der Überzeugung war, dass ich ihr nach dem Leben trachtete, hatte darauf bestanden, der Psychiater hatte darauf bestanden, und Sigismund, Alexander und das Rattengesicht und, als ich immer noch nicht recht einverstanden war, auch noch Wurstauge und Ernesto Che hatten schließlich mit einigem an körperlichem Einsatz meinen rechten Arm unlösbar mit Uwes linkem verbunden.
    »Dich zumindest hätten sie fragen sollen«, grollte ich.
    »Zwei Meter Strick zwischen uns beiden hätten vollkommen gereicht. Ist ja nicht so, als ob ich dich hier alleine herumstolpern lassen würde.« Mit schwärzester Laune blickte ich hinunter auf die stählerne Acht um unsere Handgelenke und stellte mit Schrecken fest, dass sie Uwes Arm fast bis aufs Blut aufgescheuert hatte.
    »Ja, Scheiße«, fuhr ich ihn an, dass er einen unwillkürlichen Schritt zurück machte, bis ihn die Handfessel stoppte, »warum sagst du denn nichts?«
    Weil er nicht kann, war die

Weitere Kostenlose Bücher