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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Rotationsverfahren hatte uns zum Küchendienst eingeteilt, und das ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass wir nach zwei Transporttouren und dem Aufbauen von vier Zelten plus der verfluchten Toilette plus dem Windschutz für die Kocheinheit auf dem Zahnfleisch unterwegs waren. Während sich die anderen schon längst in die Zelte verkrochen hatten, knabberte uns weiterhin der Wind an den Ohren, rieselte uns der körnige Schnee ins Genick. Zwei blaue Flammen fauchten mit der grellen Lampe um die Wette und verströmten eine Illusion von Wärme.
    »Thomas also?« Ich tat, was in meiner Macht stand, um einer möglichen Wiederholung dieser Aufgabe in der Zukunft entgegenzuwirken, doch mein Partner machte all meine Bemühungen mit ungeahntem kulinarischem Ehrgeiz zunichte.
    »Nein, Tom.« Er schien den winzigen, semitransparenten, mit Armen und Beinen strampelnden Homunculus auf seinem Löffel nicht zu bemerken, als er das Ergebnis unserer Kochkünste kostete. »Einen längeren Namen hätte mein Daddy nicht schreiben können.« Er kaute ein bisschen, wie auf etwas Zähem, Knorpeligem, und ich ließ meinen Blick in die dunkle Ferne schweifen. »Und wahrscheinlich auch nicht behalten.« Salz wanderte in die bis dahin wunderbar fade Brühe. Ein kräftiger Spritzer aus der Plastikzitrone. »Mein älterer Bruder heißt Pit. Der jüngste Alf. Sag ehrlich, da bin ich mit Tom doch noch relativ gut bedient.«
    »Ist der Fraß bald fertig?«, brüllte Horst, aus unserem Zelt.
    »Oh, selbst wenn«, kam es von woanders her. »Ich glaube nicht, dass ich etwas zu mir nehmen könnte. Ich habe das Gefühl, dass sich ab einem bestimmten Punkt der Erschöpfung der Appetit einfach abschaltet.« Irgendjemand murmelte, aber sie müsse doch essen, um bei Kräften zu bleiben und ihre Körpertemperatur wiederherzustellen, und die Ärztin versprach mit matter Stimme, es zu versuchen.
    Niemand hatte bisher das Fehlen der Handschellen kommentiert, und es sollte auch nicht mehr zur Sprache kommen.
    »Und wie bist du hier reingeraten?« In diese sich anbahnende Katastrophe? Niemand sprach es aus, doch das war, was in der Luft lag.
    »Och, man schien der Ansicht zu sein, ich hätte noch eine letzte Chance verdient, mit meiner Geschichte. Schwere Kindheit und alles.« Und er grinste das bei Erwähnung dieser
    Floskel fällige Grinsen. >Schwere Kindheit< heißt im Jargon auch >Zwei bis drei<. Gemeint sind zwei bis drei Jahre. Weniger, wohlgemerkt.
    »Atze, gib es dran«, hörte ich Horst wieder. »Nett von dir, aber mal im Ernst: Ist doch scheißegal, ob mir die Zehen abfrieren. Sind mir doch so oder so zu nichts mehr nütze. Geh mal lieber, und mach den beiden Küchenheinis ein bisschen Feuer unterm Arsch. Mir hängt der Magen sonstwo.«
    »Und womit haben sie dich gekriegt?«
    »Tankstelle.« Nur eine der beiden häufigsten Kurzformen von >Bewaffneter Raubüberfall<, also. Die andere, noch kürzere, ist >Bank<. »Warum fragst du?« Seitenblick, misstrauisch.
    »Nur so.«
    »Nur so? Kaum.«
    Wir fingen an, die Suppe in die vierzehn Alunäpfe zu füllen und die Schnappdeckel draufzudrücken. Ich sah keine Embryonen mehr und war nicht böse darum.
    »Fraß abholen!«, brüllte ich.
    »Das kann man auch netter ausdrücken«, belehrte mich eine schwankende Stimme.
    »Na gut. Weil mir die neue Reiseleitung suspekt ist«, sagte ich, leise. »Weil ich feststellen will, wer wo steht. Falls es zum Bruch kommt. Wenn du verstehst, was ich meine.«
    Tom schürzte die schmalen Lippen seines Rattengesichts. Wieder dieser Seitenblick. Ich war mir sicher, er verstand sehr gut. Doch er sagte nichts.
    Der Kommandostand mochte woanders liegen, doch die Kommunikationszentrale war eindeutig bei uns. Nur ein kleiner
    Nebeneffekt von Horsts Kartenglück. Die Zelte bekamen so langsam Namen. Unseres wurde >Der Kiosk<.
    >Orientalischer Basar< hätte auch gepasst, nach dem, wie hier um jede Zigarette gefeilscht wurde.
    >Prächtige Gelegenheit, sich das abzugewöhnen<, höhnte Horst, wenn seine Kunden argumentierten, sich bei seinen Wucherpreisen das Rauchen nicht länger leisten zu können. Ich fragte mich, ob er es nicht ein bisschen übertrieb, doch Horst war Horst, nur schwer einzuschüchtern und immer schon eine eher kantige Frohnatur gewesen.
    »Hier«, hielt ich Ernesto Che mein Päckchen Camel hin, als Horst gerade mal mit Atze an der Luft war. Er akzeptierte dankbar.
    »Und wie ich wiedor zu mir gomm«, fährt er mit seiner Erzählung fort, »lieg ich im Grangenhaus, und

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