Fallera
wirkenden Uwe, den die Damen, wie es aussah, aus ihrem >Harem< ausquartiert hatten.
Ich kam genau richtig, denn unser Führungstriumvirat kniete gerade über der Karte. Der Empfang durch die neue Elite war recht kühl, doch etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet.
Sigismund kaute mit umwölkter Stirn auf dem Stiel seiner kalten Pfeife herum und sah kurz auf, als ich mich neben ihn hockte. Alexander und Tom beachteten mich gar nicht.
»Scheiße, mit dem Schnee und dem Nebel, was?«, meinte ich. Sigismund nickte.
»Wir müssen versuchen, diesen Hangabschnitt zu umgehen«, sagte er und deutete mit der Pfeife, bevor er sie sich wieder zwischen die Beißer klemmte. »Dieser Neuschnee liegt nicht gut, auf dem vereisten Grund.«
Für einen gelegentlichen Bergtouristen legte er ein erstaunliches Fachwissen an den Tag, fand ich. Aber vielleicht schlug er auch nur Schaum, wie so viele aufgeblasene Laien.
»Was ich mir überlegt habe«, sagte ich und starrte konzentriert auf den Wirrwarr von Linien hinab, »ist: Eigentlich bräuchten wir ja gar nicht bis zum nächsten Ort abzusteigen, sondern uns nur bis zur Bergstation der nächsten Seilbahn vorzuarbeiten. Hier diese geraden Striche mit den Zähnen, das sind doch wohl Seilbahnen, oder? Und die hier .«, ich deutete, »die könnten wir doch in einem Tag erreichen, wenn wir uns ranhalten, oder? Und - ey, was ist denn mit der hier? Die ist ja noch näher!«
Die beiden Jüngeren sagten nichts dazu. Mein Gefühl war, dass ich nicht der Erste war, der diese Idee angesprochen hatte. Nach einer Weile nahm Sigismund die Pfeife wieder in die
Hand.
»Die hier«, kommentierte er langsam und tippte mit dem feuchten Mundstück auf die gezahnte Linie in mehr oder weniger direkter Nachbarschaft unseres momentanen Lagers, »existiert nur noch als eine Abfolge rostiger Masten. Da, siehst du die kleinen gekreuzten Hämmer rings um die Bergstation? Lauter schon lange stillgelegte Minen. Sie und die dazugehörende Transportbahn sind Überbleibsel des kurzen >Schweizer Goldrauschs< Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre. Und die andere, hier, das ist ein Skilift. Kann mir nicht vorstellen, dass der in Betrieb genommen wird, bevor nicht ein kurzes Tauwetter für eine vernünftige Verbindung von Hang und Schneedecke gesorgt hat. Keinesfalls jedoch vor dem Wochenende, würde ich sagen. Nein, mein Vorschlag ist, zu versuchen, diesen Höhenwanderweg hier zu finden und dem zu folgen, bis hierhin .«, er bohrte die Pfeife an einer Stelle oberhalb der alten Minenschächte in die Karte, »dort eine letzte Nacht zu bleiben und morgen früh den Abstieg zu versuchen, und zwar hier hinunter.« Damit begann er, die Karte zusammenzufalten.
Der Hubschrauber wollte mir nicht aus dem Kopf, deshalb stellte ich noch rasch eine Frage. »Wo ist eigentlich noch mal der Berg, den wir ursprünglich besteigen wollten?«
Sigismund klappte die Karte noch mal auf und zeigte ihn mir kurz, und ich war nicht wirklich überrascht zu sehen, dass wir mittlerweile einen ganzen Höhenzug zwischen uns und die vom Toni geplante Route gebracht hatten.
Mit anderen Worten: Wir hatten uns aus dem Suchgebiet entfernt. Zufall? Leichtsinn? Dummheit? Die einzig richtige Entscheidung, wenn man das Wetter mit einbezog, die seit Tagen herrschenden, extrem schlechten Sichtverhältnisse? Oder folgten wir hier einem für Nichteingeweihte undurchschaubaren Plan?
Abhauen, dachte ich. Das ewige, ewige Thema. Aber falls einer oder mehrere aus der Gruppe verduften wollten, warum machten sie sich dann nicht einfach bei Nacht und - tja, den hatten wir schon - Nebel auf die Socken?
Oder stand alles zum Besten, und es war nur Kryszinskis Hirn, das ein wenig überreizt war von Monaten ohne richtigen Schlaf, Monaten ohne einen klaren Moment, Monaten ohne wirkliche Erinnerung außer Fetzen wie Einblicke in eine private, urbane Hölle? Lauter Rückblicke auf einen nahezu besinnungslosen freien Fall?
Ich packte meine Sachen mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Beklemmung. Wenn etwas Entscheidendes passieren sollte, dann würde das heute geschehen, da war ich mir sicher.
Und ich sollte Recht behalten. Eijeijei, was sollte ich Recht behalten.
Kapitel Sieben
»Wer versucht, sein ganzes Leben lang auf des Messers
Schneide zu balancieren, wird aller Erfahrung nach kein
ganzes Leben zustande bringen.«
WILLIAM S. BURROUGHS
»Was?!«, fragte ich, obwohl ich sehr gut verstanden hatte. Zu gut, fast schon. »Was? Wer?! Sagen Sie
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