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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Egon.
    »Hua!«, machte Alfred.
    Uwe schüttelte mich an der Schulter.
    »Jetzt ist absolut nicht die Zeit für faule Witze«, sagte Christine. »Ich habe so ein beschissenes Gefühl bei der ganzen Sache, ich kann es gar nicht ausdrücken. Meiner Ansicht nach müssen wir dicht zusammenbleiben, oder wir enden einer nach dem anderen wie der Toni. Dieser ganzen Bande ist nicht zu trauen.«
    Uwe rüttelte an meiner Schulter.
    »Irgendjemand Spezielles, den du in Verdacht hast?«, fragte ich rasch, wusste ich doch um die Kürze von Christines klaren Momenten. Ihre Augen weiteten sich, doch sie sah nicht mich an, sondern an meiner Schulter vorbei, die Uwe nicht aufhören wollte zu schütteln.
    Mit dem Geräusch einer Sommerbrise in den Baumkronen kam aus dem Nichts ein Schneebrett angefegt und senste uns alle von den Beinen. Es war pures, unverdientes Glück, dass die Miniatur-Lawine, und wir mit ihr, nur ein paar Meter weiter schon wieder zur Ruhe kam und nicht über die volle Distanz ging bis unten irgendwo in den Bergwald oder über eine
    Felskante und dann weiter in jodelndem freiem Fall bis zum Talgrund.
    Kopfüber, kopfunter, Arme und Beine in alle Richtungen verdreht, sortierten wir uns, so gut es ging, auseinander, halfen einer dem anderen wieder auf die Füße und polkten dann noch ein Weilchen feuchten Schnee aus sämtlichen Öffnungen von Kopf, Kleidung oder Gepäck. Niemand war wirklich verschüttet worden, niemand ernsthaft verletzt, doch unsere Sichtweise der weißen Pracht änderte es schlagartig. Nicht einer, der danach noch vorweihnachtliche Gefühle geäußert hätte.
    Plötzlich hatten wir es sehr, sehr eilig, den vor uns liegenden Hang zu queren, bevor noch mehr Schnee auf ihm zu liegen kam, und uns in den relativen Schutz der Felsengruppe zu flüchten, an der irgendwo der Höhenwanderweg beginnen musste.
    Auf halbem Weg trafen wir auf Horst, der mutterseelenallein in seinem Rollstuhl hockte, gerade gehalten und gegen Abrutschen gesichert durch zwei Felsbrocken unter dem talseitigen der beiden Tragrohre, und so langsam zuschneite.
    »Das kommt alles nur vom Onanieren«, kommentierte er, ungerührt, kaum auszumachen unter all dem Schnee, der sich auf ihm angesammelt hatte. Erst längeres Nachfragen brachte ans Licht, wovon er sprach: Atze hatte sich, wie es schien, einen gewaltigen Hexenschuss gefangen, und er und Ernesto Che, der andere Träger, hatten deshalb Horst hier geparkt und sich aufgemacht, Hilfe zu holen.
    Schließlich hievten wir Horst zu dritt in die Höhe, mit mir vorne an den Stangen und Alfred und Egon an je einer hinten, was wegen ihres Größenunterschiedes trotz der Hanglage ganz gut passte.
    Dessen ungeachtet wurde es noch eine hübsche Plackerei. Der Schnee fiel weiterhin, dicht und gleichmäßig, aus den anfänglich zehn Zentimetern wurden bald zwanzig, und der vereiste Grund darunter war genauso wenig hilfreich, die Stabilität unserer Schritte zu erhöhen wie die unserer Nerven.
    Unser Grüppchen - Horst, Egon, Alfred, Uwe, Christine und ich - schaffte es bis zu den schroffen Felsen, doch wer immer vor uns unterwegs war, war wohl schon weitergezogen, und niemand konnte mit Sicherheit sagen, wer noch hinter uns kam.
    Wir befanden uns in denkbar schlechtem Wetter bei tückischen Bedingungen und mieser Sicht irgendwo mitten in den Bergen, am Arsch der Welt, und die eine Hälfte der Gruppe wusste nicht, wo die andere war, ob vorne, hinten, links oder rechts, weiter oben oder weiter unten.
    Idioten, das waren wir.
    Doktor Zwölfenbein und Sigismund Piepenkopp mussten eigentlich vor uns sein, da war ich mir einigermaßen sicher, der Piepenkopp möglicherweise in Begleitung des einen oder anderen seiner Mitbewohner im >Bunker<. Ernesto Che und Atze würden früher oder später auf unseren Spuren zu uns stoßen, doch wo Frau Doktor abgeblieben war und in wessen bedauernswerter Begleitung, das hatte sich meiner Aufmerksamkeit entzogen. Das Problem, das dadurch entstand, war die simple und doch unter Umständen entscheidende Frage, ob wir warten oder aber möglichst rasch weiterziehen sollten.
    Die meisten schienen erst mal fürs Warten zu sein, also warf ich meinen Rucksack ab und machte mich auf die Suche nach Fußspuren. Fand auch einige, schon weich an den Rändern und wieder halb gefüllt vom Neuschnee und obendrein kaum aussagefähig, da sie wie meine eigenen orientierungslos um die einzelnen Felsen herumliefen, wahrscheinlich auf der Suche nach den Farbmarkierungen des Höhenweges.

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