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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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und er hatte die Augen nicht geschlossen. Karel kam auf mich zu, packte mich am Oberarm und kniff, bis ich wimmerte. Seine Pupillen verengten sich.
    Â»Du stehst im Weg. Hau ab.« Er schob mich auf die Straße.
    Ich wankte zum Gepäck, mein Arm schmerzte. Ich suchte den Koffer, die Gurte, die Sachen zusammen.
    Â»Verschwinde!«
    Ich hockte mit den Unterhosen, Karels Hemden und einem Sommerrock zwischen Koffer und Straße. Ich blickte mich um.
    Â»Lass liegen, LASS LIEGEN . Hau ab!«
    Ich ließ los. Richtete mich auf. Trat einen Schritt zurück.
    Â»Hau ab, sage ich.« Speichel flog aus seinem Mund.
    Ich trat noch einen Schritt zurück. Ich verstand nicht, warum Karel so schrecklich wütend auf mich war. Was hatte ich falsch gemacht?
    Â»Verdammt noch mal! Hau …« Karel ergriff einen Klumpen Erde.
    Ich drehte mich um. Ich rannte. Links, rechts, Nord, Süd, Ost, West. Irgendwohin. Nur weg hier.
    Regentropfen strömten über mein Gesicht, der Mascara wurde von den Wimpern gespült und brannte mir in den Augen. Meine Schuhe setzten einen Schritt nach dem anderen über die klatschnassen Betonplatten. Kühe muhten auf der Weide, und ich sah Sigrid vor mir, die als Mädchen immer um die Kuheuter herum zu finden gewesen war. Ich vermisste sie auf einmal schrecklich. Ich dachte an peitschende Kuhschwänze und warum diese immer voller Kacke waren, auch oben am Ansatz. Warum machte nie jemand die Schwänze sauber? Warum mussten sie immer so schmutzig sein, ohne Respekt vor der Schönheit des Tieres?
    Der Wind in meinem Kopf legte sich, und es wurde totenstill. Vielleicht trug ich ja ein Kind in meinem Bauch, beim ersten Mal gleich ein Treffer. Und vor dem Vater dieses Kindes rannte ich weg. Nun, dachte ich, das ist schade für Herrn van Snitten. Hätte er sich mal nicht so aufführen dürfen. Dann gehört das Kind eben nur mir. Dann bin ich nie mehr allein.
    Ein Auto kam. Ich trat an den Straßenrand, der Fahrer hupte, für den Bruchteil einer Sekunde erblickte ich ein neugieriges Gesicht zwischen den hin und her schwingenden Scheibenwischern. Ich winkte: Alles in Ordnung. Hinter mir fuhr der Wagen weiter durch Pfützen, das Wasser peitschte gegen die Radkästen. Dann drosselte er seine Geschwindigkeit, und es wurde still. Ich hörte nur noch das Rauschen des Regens. Ich blieb stehen und drehte mich um.
    Ich hatte nur ein paar hundert Meter zurückgelegt und sah, wie Karel auf das Auto zulief. Ich sah, wie er sich zur Tür herunterbeugte, wie er redete und lachte. »Ja, jetzt lachst du«, murmelte ich. »Wenn andere dabei sind.« Ich erschrak über die Härte meiner Stimme. Ich war doch ein Salatblättchen, ein Tänzchen, ein Sonnenschein mit Speck an den richtigen Stellen – nicht?
    Eine Tür ging auf, und Karel stieg ein. Der Wagen wendete und kam wieder in meine Richtung. Würden sie anhalten? Sollte ich auch einsteigen?
    Im Vorbeifahren wurde das Auto langsamer, und Karel klappte das Fenster hoch. Er winkte.
    Â»Alles unter Kontrolle. Ich hole Benzin! Mach dir keine Sorgen.«
    Das Wasser von den Rädern spritzte an meine Beine, der Benzinqualm reizte meine Kehle. Mit halb zum Gruß erhobener Hand stand ich da. Ich hätte durchaus ein Kilometerstein sein können. So ein Stein sagte, dass der Grenzort Alstätte sieben Kilometer entfernt war. Das waren Fakten, auf die man bauen konnte.
    Als das Auto längst im Regen verschwunden war und sich der Benzingeruch verflüchtigt hatte, kam ich wieder in Bewegung. Ich wischte mir den Schlamm vom Rock, rieb mein Gesicht, so gut es ging, trocken und erinnerte mich an die Worte, die Karel aus dem Auto gerufen hatte. Wie ein Echo hallte es in meinen Ohren: »Bleib du bei den Sachen!«
    Â»Ja«, murmelte ich, »selbstverständlich. Valentine bleibt bei den Sachen.«
    Also lief ich zum Motorrad zurück, das aufgebockt am Straßenrand stand. Ich hob den Koffer auf und die Tasche mit Verpflegung, die ich an diesem Morgen mit so viel Sorgfalt gepackt hatte. Die Brote mit Quark und Tomatenscheiben. Die süßen Sternäpfel und zwei Servietten, fein gestärkt und gefaltet – nasse Fetzen waren es jetzt. Zwei Flaschen Weißbier, ein Glas selbst eingelegte Gurken, ein Stück holländischen Hartkäse und eine Tafel Schokolade. Das Ganze mit einem rot-weiß-karierten Geschirrtuch zugedeckt.
    Tränen rannen mir über die Wangen.
    Mama, die

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