Fallkraut
straff gezogenen Seite seines Gesichts. Seltsam fand ich das. Ich hatte immer gedacht, dass Männer sich nach einem festen Schema rasieren, so wie ich ein Schema hatte, wenn ich den Gartenweg fegte oder die Fliesen in der Küche schrubbte: rechts, vor, links und dann einen Zug zur Seite, rechts, vor, links und so weiter, bis das Männergesicht in Ordnung gebracht war.
Aber Karel sagte, dass auf diese Weise alles gerade besonders sauber, herrlich duftend und glatt würde, dass man nichts zügeln oder zwingen dürfe. »Nur so kann der freie Geist leben«, sagte Karel. »Vor allem abends, bevor dieser freie Geist ins Bett geht.«
Er zwinkerte in den Spiegel, und ich kicherte. Die Muskeln in seinem Unterarm spannten sich, seine langen Finger zauberten mit dem Rasiermesser, eine blonde Locke warf einen Schatten auf seine Stirn.
Hätte ich in meiner Hochzeitsnacht gewusst, was ich nach und nach entdeckte, wäre ich nie so auf Karel geflogen. Karel hielt sich für sonst was in seinem Heimatdorf und in dem Ort zehn Kilometer weiter, in dem wir uns niederlieÃen. Karel behauptete, er sei ein Abenteurer, ein Weltreisender, Hohe-Bäume-Besteiger, Ozeanbezwinger und noch eine ganze Menge mehr. Doch in Wirklichkeit flöÃte ihm alles, was nicht aus Twente kam, Furcht ein. Nein, wenn Karel irgendwo einen Ozean bezwang, dann war es an der Theke des Billardcafés »De Boemel«.
Solche Gedanken habe ich auf der Fähre nach Lorch, und sie machen mir keine Angst. Nicht mehr seit ich Karel unter einer Akazie auf dem Friedhof in Delden begraben habe. Seit Karel sicher unter der Erde liegt, schwirren mir hässliche Dinge frei durch den Kopf. Sie bohren sich einen Weg nach innen, wie die Wespen sich einen Weg ins Kerngehäuse der Ãpfel hinten in meinem Garten bohren.
Das muss erlaubt sein. Der liebe Gott hat jeden Menschen mit Fehlern erschaffen. Jeder hat irgendetwas Anrüchiges, Läppereien, die in seinem Kopf zum Trocknen hängen.
Karel hatte einen eisernen Willen, doch ich frage mich, ob er wusste, wozu dieses ganze Eisen gut war. Er konnte an einem Tag fünfzig Gulden für einen Anzug ausgeben, den er sich in Enschede maÃschneidern lieÃ, aber am nächsten Tag schickte er mich fluchend mit einem Stück Käse in den Laden zurück, weil er irgendwo anders billigeren gesehen hatte.
Nur darin war er beständig, dass mein kleiner Otto und ich nie raten konnten, ob uns am Frühstückstisch ein Anschnauzer erwarten würde oder ein Lachen. Wenn Karel gut geschlafen hatte, es im Rathaus keine Streitereien gab und die Musikkapelle »De Harmonie«, deren Dirigent er war, im Takt gespielt hatte, dann trug er mich so hoch, dass ich mir vor Nervosität beinahe in die Hosen machte. Karel beschrieb in der Luft, wie kompliziert Bachs Partita Nr. 2 in d-Moll war, die im Radio gesendet worden war. Ich wusch die Teller ab und tat, als ob ich noch nie von dem schwierigsten Teil der Partita gehört hätte, in dem die Violine dreizehn Minuten lang Arabesken um vier simple Noten macht. Als ob sich Sigrid im Kohlenkeller nicht endlos mit der Chaconne abgeplagt hätte.
Ich zog mit meiner Spülbürste Kreise in der Seifenlauge, immer herum, während Karel erzählte, was Brahms an Clara Schumann geschrieben hatte: »Wollte ich mir vorstellen, ich hätte das Stück machen, empfangen können, ich weià sicher, die übergroÃe Aufregung und Erschütterung hätte mich verrückt gemacht.«
»Verrückt«, sagte ich, »das ist gut möglich.«
Brahms, mein immer bescheidener Brahms.
In solchen Momenten war ich Karels Prinzessin, war ich diejenige, für die er alle Register zog. Er ahmte betrunkene Damen nach, Nassauer auf der Arbeit und steckte seine Hand so weit in meine Bluse, dass ich sie mit der Spülbürste wegschlagen musste.
»Pfui«, sagte ich. »Erst nachher, nachher kommst du an die Reihe.«
Nie wusste ich, was »nachher« bringen würde. Wenn die Tür hinter Karel zufiel, wusste man nicht, wie lange seine gute Laune andauern würde. Manchmal nur, bis er den Treppenläufer erreichte und eine lose Stange sah.
Karel sei eine gute Partie, sagte Papa. Mit so einem Mann müsse ich mir nie mehr Sorgen machen über nicht ausgezahlte Gagen, abgebrochene Engagements, Kneipenbesitzer, die das Letzte herausholen wollten für eine Krone. Mit einem Gemeindebeamten als Mann säÃe ich fest im
Weitere Kostenlose Bücher