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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Sattel, und das sei genau das, was ich bräuchte, sagte Papa.
    Mit Karel saß ich zwar im Sattel, aber dieser Sattel war so locker gegurtet, dass er in den Kurven hin und her rutschte. Es verging keine Woche, in der er nicht mit einer Ausrede zu spät heimkam. Er kannte die Kneipentheke besser als den Tellerschrank bei seiner Mutter zu Hause. Er schwindelte mich an über verlorene Socken und Schlipse, über Geld, das verschwunden war, über kaputte Gläser und sogar über die Keksdose, die plötzlich leer war. Wenn ich Karel danach fragte, war sein Name immer Hase.
    Aber dann plötzlich, seine Hand auf meinem Bauch, von hinten, die Butter in der Pfanne zischte. Ich drehte mich halb um, lachte, küsste, seine Lippen auf meinen, na komm her, schnell. Die Butter leckte träge am Boden der Pfanne. Karel zog mich an sich und schaltete das Gas aus.
    Ich presste meinen Körper an seinen, Beine, Arme, Bauch, Hals und Kinn, wir passten nahtlos zusammen. Die Butter gerann. Die Schnitzel, die ich panieren wollte, lagen nackt auf der Anrichte. Wir hatten noch eine halbe Stunde, bevor Otto aus der Schule kam. »Schatz. Dich will ich ganz und gar, für immer.« Und Karel stellte mich an die Anrichte, streifte mein Kleid hoch, meine Schürze zur Seite. Dich. Dich. Nur dich allein.
    Nach meinem ersten Auftritt bei Eulders sagte Karel zwischen den Witzen, auf einmal ernst: »Fräulein Raffelsberger, ich mag Sie außerordentlich gern.« Er sagte es mit Nachdruck, als ob er gerade erst lesen gelernt hätte und die Buchstaben sich noch mit den Wörtern anfreunden müssten. Er schaute mich so unverwandt an, dass ich den Blick verlegen senkte.
    Karel nahm mich hoch und hauchte mir Worte zu, die schöner waren als alles, was mir Mama an langen Winterabenden vorgelesen hatte. Niemand hatte je zu mir gesagt, wie schön es sei, mich zu lieben. Dass ich das Licht in seinen Augen entzündete. Solche Dinge sagte Karel zu mir. Am Anfang.
    Wenn ich zurückblicke in den Frühling 1929, als alle von Krise sprachen, von langen Arbeitslosenschlangen und bevorstehender Armut; in jenem Frühling hatte ich das Gefühl, gleich zu explodieren, wie eine reife Edelkastanie aus ihrer Schale platzt, wenn sie auf die Erde plumpst. Alles konnte mir gestohlen bleiben, außer Karel.
    Jahre später, als Karel, krank aus dem Lager zurückgekehrt, zu Hause lag, fragte ich: »Was hast du eigentlich genau an mir gefunden, warum hast du dich in mich verliebt?« Ich faltete ein Geschirrtuch unter seinem Kinn gegen das Kleckern und fütterte ihn mit Kartoffelpuffern mit lauwarmem Apfelmus.
    Â»Verliebt?«, sagte Karel mit vollem Mund. »Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.« Sein Mund stand still. Dann kaute er wieder weiter. Er komme bei mir zur Ruhe, sagte er, nicht bei den Arschlöchern, die versucht hätten, ihm das Leben zu versauern. Überall seien sie zugange gewesen, und auch jetzt noch. Hinter seinem Rücken, die Beine unter seinem Stuhl weg. Ich dagegen, ich sei wie, Karel suchte nach dem richtigen Wort: »Berieselungsmusik«.
    Nach dem Essen wollte er, dass ich ihm den Rücken kratze. Karel ergriff meine Hand. »Da ist eine Stelle«, er machte eine reibende Bewegung mit dem Schulterblatt, »die so juckt. Ich komme nicht ganz ran.«
    Ich drehte ihn auf die Seite und kratzte ihn. Berieselungsmusik, Musik für den Fahrstuhl bei Vroom & Dreesmann, sanft und immer gefällig, ob man nun in der obersten Etage aussteigt oder im Keller.
    Ich krümmte mich bei dem Wort. Ich wollte, dass Karel zu mir sagt: »Valentine, dein Name klingt wie ein Walzer.« Wie er es am Anfang getan hatte. Ich wollte einen Mann, der mich am Ellenbogen fasst und mich in die Mitte der Tanzfläche führt. Und wenn wir genug getanzt hätten, würden wir uns zum träumerischen Dreivierteltakt an Mozartkugeln gütlich tun, die auf Tischen an der Wand aufgestapelt waren. Das wollte ich, auch wenn ich kein junges Blättchen mehr war.
    Wenn Karel so gewesen wäre, dann wäre alles eine ganz andere Geschichte gewesen. Dann hätte ich ihm vielleicht verzeihen können.
    1929 und 1930 hatte ich noch Heuwagen voller Hoffnung. Karel sagte: »Du musst ein bisschen Geduld mit mir haben.« Und ich dachte: Ich ändere ihn, geduldig, ich knete, hier und da ein besonders tiefer Druck mit der Handfläche und dann langsam zwischen den Fingern ausrollen. Rollen,

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