Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
Vom Netzwerk:
Hause, bevor die Läden schließen.«
    Es war ein Vorschlag, den ich nicht ablehnen konnte. Das sah ich an Karels fiebrigen Augen und vor allem an seinen Fingern, die sich rasend schnell übereinander bewegten.
    Â»Wie du willst, Liebling«, sagte ich. »Wenn du dich nicht wohl fühlst, gilt: Ost oder West, daheim ist das Best’. Die Reise läuft uns nicht weg.«
    Karels Augen hellten sich auf. Ich durfte nicht vergessen, dass ich ihn liebte und er mich.
    Er legte mir den Arm um die Schulter, drückte mich an sich. »Es tut verdammt weh. Stiche von meinem Zeh über das Schienbein hinauf, als ob ein Flammenwerfer darauf gerichtet wäre.« Dann beugte er den Kopf herunter, und ich sah einen anderen Blick in seinen Augen.
    Oje, dachte ich, er will küssen, obwohl ich überhaupt nicht in der Stimmung dafür bin. Ich befeuchtete meine Lippen mit der Zunge.
    Vielleicht stand ich ungeschickt, oder Karel stellte sich grob an, jedenfalls landete seine Nasenspitze in meinem Auge, so heftig, dass ich mich im nächsten Ort, in dem es eine Apotheke gab, auf die Suche nach Augentropfen und einer Kompresse für meine lädierte Augenhöhle ­machen musste. Wir fuhren zurück, und ich saß hin­tendrauf mit einer Binde um den Kopf. Ich war so oft auf Reisen gewesen, ganz Deutschland, Österreich und halb Russland hatte ich gesehen, immer neue Ausblicke, ­Cafés, Restaurants und Podien, wo ich mit Sigrid auftrat. Aber jetzt, da es endlich an den Ort ging, den ich mein Zuhause nennen durfte, fühlte ich mich fremder denn je.
    Gott, wie Sigrid sich kaputtlachen würde. »Noch nicht mal bis über die deutsche Grenze. Meine beiden Weltreisenden!« So etwas würde sie sagen, und es würde kein Gramm Mitleid in ihrer Stimme mitschwingen.
    Ganz Delden wusste, dass wir auf Hochzeitsreise waren. Die Blasiuskirche war gerammelt voll gewesen, als der Pfarrer unsere Ehe einsegnete. Und als wir in einem Mietwagen über die Noorderhagen in die Langestraat eingerollt waren, hatten sich die Menschen am Straßenrand gedrängt. Was sollte ich den Leuten sagen?
    Es hatte noch immer nicht aufgehört zu regnen. Das Motorrad fuhr durch ein Schlagloch, und ein heftiger Schmerz zuckte von meinem Hintern zu meinem Auge. Ich fühlte an der Binde. Ich würde nicht erzählen, dass Karel nicht weiter wollte. Das ging niemanden etwas an. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Ich würde sagen, dass wir einen Unfall gehabt hätten. Ein Vogel. Ein Ast auf der Straße. Ein Hund, der plötzlich hinübergelaufen sei. Das Motorrad sei auf der glatten Straße ins Schleudern geraten, und ich hätte mich im Gesicht verletzt. Das war nicht gelogen. Das konnte ich dem Herrn Pfarrer wahrheitsgemäß erzählen. Ich hätte mir am Auge wehgetan, und deshalb seien wir umgekehrt.
    Ich holte tief Luft und beschloss, mich zu entspannen. Ich schlang meine Arme um Karels Taille, legte meinen Kopf an seinen Rücken und schloss die Augen. Und so fuhr ich nach Delden zurück.
    Ein Mann mit einem Fahrscheinapparat vor dem Bauch taucht plötzlich aus der Nacht vor mir auf.
    Â»Eine Überfahrt, junge Frau?«, fragt er.
    Â»Ja, genau, zwei Karten«, sage ich. »Meine Schwester sitzt drinnen.«
    Â»Das macht dann sechzig Pfennige.« Der Mann dreht zwei Abschnitte aus seiner Maschine, auf denen die Fähre in früheren Zeiten abgebildet ist.
    Â»Eine Fähre mit Rudern?«, frage ich und studiere die Karten. »Wurden die wirklich benutzt? Sind die Boote nicht gekentert? Wie viele Passagiere haben das Ufer sicher erreicht? Und wie sind sie gegen die Strömung angekommen?«
    Â»Gar nicht«, antwortet der Mann. »Alles erfunden. Für die Touristen. Die verschlingen die Geschichten über Mäusetürme und Raubritter, die einander mit Schwertern die Augen ausstechen. So ein Ruderboot gibt ein schönes Bild, und dafür machen wir es.«
    Â»Ach so«, sage ich. »Meine Schwester ist ganz wild auf schöne Bilder. Sie hat einen Fotoapparat dabei.«
    Der Mann zuckt mit den Schultern. »Dann hat Ihre Schwester kein Glück. Es liegt Regen in der Luft. Es ist der miserabelste Sommer seit langem. Kein gutes Wetter für schöne Fotos.«
    Â»Oh«, sage ich, »das wird sie betrüblich finden. Aber Gott sei Dank hat sie auch ihre Geige dabei. Meine Schwester ist Geigerin, wissen Sie, sie spielt in einem Orchester und muss

Weitere Kostenlose Bücher