Fallkraut
nie den Mut verlor, wie oft Papa auch weg war und wie leer die Haushaltskasse.
»In guten wie in schlechten Zeiten, in Glück und Unglück«, hatte der Herr Pfarrer gesagt, als er vor dem Altar der Blasiuskirche in Delden unsere Hände umeinander faltete.
Aber manchmal brachen die schlechten Zeiten schon sehr schnell an.
»Man kann niemanden ändern«, erklärte Sigrid, »und erst recht keine Männer.« Das war allgemein gemeint, doch ich glaubte ihr nicht. Weil es bei ihr nicht klappte mit Schwager Sjors. Darum sagte sie es.
Schwager Sjors isst das Essen, das Sigrid murrend für ihn kocht. Er zieht die Sachen an, die sie widerwillig für ihn wäscht. Er verzehrt Sigrids eingelegte Gurken und löst am Küchentisch Kreuzworträtsel. Schwager Sjors ist ruhig, wo Sigrid hektisch ist, gibt sich zufrieden, wo Sigrid sich den Kopf mit Ambitionen vollstopft. Schwager Sjors ist träge, während Sigrid immer in Bewegung ist. Schwager Sjors findet genau wie ich Genüge an einem regelmäÃigen Leben, Sigrid dagegen strebt nach, ja, wonach eigentlich?
Bei mir sollte es anders sein. Ich glaubte an meinen eigenen Weg zu Glück und Recht. Dieser Weg war nicht mit spitzen Steinen oder unerwarteten Löchern im Pflaster besät, wo man sich die Knöchel verrenkte. Mein Weg war ein Pfad aus feinem Kies, sanft ansteigend und eben, Stückchen für Stückchen würden wir hinaufgehen, und niemand geriete auÃer Atem.
Ich glaubte, dass der weiche Anschlag, mit dem ich Klavier spielte, auf Dauer seine Wirkung auf Karel haben würde. Langsam würde ich ihn glätten, die scharfen Stücke in seiner Hirnschale wegmassieren, die Faserränder seines Herzens aufnehmen und aneinanderkleben, bis wieder ein ganzer klopfender Muskel entstünde, der wusste, wo das Leben hingehen sollte, welcher Weg der gute und welcher Weg der schlechte war.
»Du bist eine Spinne«, sagte Sigrid manchmal zu mir. »So eine blutsaugende. Du denkst, dass du Menschen ändern, ihnen etwas beibringen kannst, aber du bringst ihnen nichts bei. Stattdessen saugst du sie aus, als wären es Markknochen in der Suppe, und wenn sie genau das tun, was du willst, stopfst du sie aus und stellst sie in eine deiner Vitrinen.«
Halt doch deinen komischen Mund, dachte ich. Sigrid verstand überhaupt nichts. Ich war keine blutsaugende Spinne. Ich war eine Feinbäckerin, eine sehr gute.
Darum nahm ich wieder auf dem Sozius Platz, nachdem Karel mit einem Kanister Benzin zurückgekommen war und wir Auto und Chauffeur samt dem WeiÃbier und meinen Gurken nachgewinkt hatten. Der Tank wurde gefüllt. Karel drehte den Deckel fest zu, stieà Âeinen Seufzer aus, setzte seine Motorradbrille auf und dann wieder ab.
Ich tippte ihm auf die Schulter. »Wie wärâs mit starten? Nach Deutschland gehtâs da lang.«
Aber Karel wandte sich um und sagte: »WeiÃt du, Tine, ehrlich gesagt, bin ich todmüde, kaputt. Beine, Rücken, Arme, alles tut mir weh.« Karel blickte auf seine Schuhe und spuckte neben sich ins Gras. Er kratzte sich im Nacken. Ich hörte das Krr-krrr-krr seiner Nägel.
Etwas Schweres sank mir in den Magen, das auch auf meine Därme drückte, als ob ich nötig müsste, aber nicht könnte. Wenn ich jetzt nicht auf die richtige Weise reagierte, würde alles umschlagen, in die andere Richtung gehen. Dann würde das Haus mit der Diele und dem Wasserklosett und den Gästehandtüchern und den Himbeersträuchern Vergangenheit sein. Dann würde Papa wütend werden und sich zu Tode schämen, ich würde wieder durch die Welt ziehen müssen oder bei Sigrid einziehen und mir mit Klavierstunden meine Brötchen verdienen.
Letzteres war damals ein Alptraum für mich. Kinder, die nichts mit Musik am Hut hatten, aber von ihren Eltern gezwungen wurden. Kinder, die nicht üben wollten und so wenig Talent hatten, dass ich mich beherrschen musste, nicht den Klavierdeckel auf ihre Fingerchen fallen zu lassen, um es ihnen auszutreiben.
Ich stieg vom Motorrad, zog Karels Hand aus seinem Nacken. »Nicht doch, Liebling, du zerkratzt dich ja ganz.«
»Vielleicht«, sagte er und blickte zu mir auf, »vielleicht sollten wir lieber wieder heimfahren? Diese Reise hast du dann noch gut bei mir. Gemütlich zu zweit in unser neues groÃes Bett? Ich mach den Ofen an, und du kochst was Leckeres. Wenn wir jetzt umkehren, sind wir zu
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