Fallkraut
Behandlung.«
Ich lief mit einem sauberen Scheuerlappen in den Händen auf den Dachboden. Dort stand ein dampfender Eimer Wischwasser bereit. Wir wollen alle irgendwas. Ich tauchte den Lappen ins Wasser. Mir würden sofort ein oder zwei oder noch viel mehr Dinge einfallen, die ich will. Mit Leichtigkeit.
Ich machte auf dem Dachboden groà reine, denn Otto kam über Weihnachten nach Hause. Ich freute mich darauf. Zusammen unter dem Weihnachtsbaum sitzen, an den ich selbstgebackene Kringel und Weihnachtsengel aus Papier gehängt hatte. Miteinander reden, Otto und ich. Wen brauchten wir schon dabei?
Karels Prozess am Gericht in Almelo war zum zweiten Mal vertagt worden. Das letzte Schreiben vom Gericht datierte vom März 1947. Ich würde Schwager Sjors um Rat fragen. Schwager Sjors würde wissen, wie ich Karel aus der Patsche helfen konnte.
Ich rutschte von den Knien auf den Bauch und schob meinen Arm so weit wie möglich unter das Bett. Vielleicht würde Karel ja nie mehr zurückkommen. Würde er auf ewig in diesen unseligen Wäldern dort herumspuken, mit seinem komischen Strähnenhaar, seinen roten Augen und seinen schmutzigen Unterhosen.
Solche Sachen dachte ich, während ich die tiefsten Stellen unter dem Bett wischte.
Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich hole meine Sonnenbrille aus der Tasche. Wir sind nur ungefähr sechshundert Kilometer weiter südlich, aber was für ein Unterschied. Vorsichtig schiebe ich den Ballerina von meinem geschwollenen rechten FuÃ. Im Ballen sticht es. Noch ein kleines Karlsberg. Was zum Knabbern dazu. Und meine Zehen ein bisschen in der frischen Luft auswehen lassen.
Das Ehepaar neben mir bestellt ein Zitronenwasser.
»FüÃe«, schnappe ich auf. Es ist Holländisch.
»ScheiÃschuhe.«
»Mein lieber Schwan, ganz schön sauer, diese Zitrone. Schwuppdiwupp, mehr Zucker.«
Die denken, dass ich sie nicht verstehe.
»Hast du die denn nicht eingepackt?«, sagt der Mann. »Da hast du einen ganzen Koffer voll Schuhe eingepackt, aber ausgerechnet meine blauen Bootsschuhe nicht?«
»Diese alten Dinger?«, antwortet die Frau. »Die packe ich nicht mehr ein. Damit hätte Napoleon die Schlacht bei Waterloo gewinnen können, so stinken die.«
Die Frau, stämmig, mit kurzem Haar, rührt mit dem Löffel in ihrem Glas Zitronenlimonade, leckt den Löffel ab und steckt ihn wieder in die Zuckerdose. Sie fängt meinen Blick auf.
»Entschuldigen Sie«, sage ich und schlüpfe wieder in meinen Schuh. »Ich wollte nicht lauschen. Ich komme auch aus Holland, auch wenn meine Wiege woanders stand.« Ich trinke schnell einen Schluck Bier. »Ich hörte Ihren Mann, über seine FüÃe. Das kann sehr unangenehm sein«, sage ich. »Das weià ich aus Erfahrung. Wenn es am Spann, an den Zehen oder der Ferse scheuert.«
Ich presse die Lippen aufeinander. Da kommt doch, verflixt noch mal, was hoch. Ich stoÃe fast geräuschlos auf, mehr als ein Unterwasserblubbern ist es nicht.
Der Mann schweigt. Aber die Frau streckt die Hand aus. »Ich bin Helma Waas. Und das hier«, sie stupst ihn mit dem Ellenbogen, »ist mein Mann, Rien Waas.«
Der Mann, der Rien heiÃt, setzt seine Sonnenbrille ab. Er entblöÃt die Zähne.
»Lieber nicht so einen Berg Schuhe mitschleppen«, sagt Helma.
»Aber jetzt hat meine Frau meine Lieblingsschuhe vergessen«, beginnt Rien.
»Ja, ja, das wissen wir nun.« Helma schiebt ihren Stuhl neben meinen. »Ich nehme alle Schuhe mit, die Rien im Schrank stehen hat«, sagt sie zu mir. »Aber wer kann denn ahnen, dass er ausgerechnet diese ausgelatschten Bootsschuhe â¦Â«
Ich schaue von einem zum anderen. »Schuhe sind dein bester Freund in der Not. Ich selbst habe sicher hundert Paar auf dem Dachboden. Von keinem kann ich mich trennen.«
»Ich benutze sie für die Wäscheklammern.« Helma verschränkt die Arme. »Reinlichkeit, das ist wichtig. Ich achte darauf, dass meine FüÃe immer sauber sind, und nach dem Waschen massiere ich sie mit einer Schafssalbe mit Menthol, die ich bei einem Mann in Ootmarsum hole. Das stärkt den Kreislauf. Aber Rien«, sie zwinkert mir zu, »wir wissen ja alle, wie Männer sind.«
Grübchen erscheinen in Helmas Wangen, und diese Grübchen schuppen sich. Ich hebe meine Sonnenbrille an und bemerke, dass sich die Haut der Frau an noch mehr Stellen
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