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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Instrument wiederum von einem Onkel, der bis zum Zweiten Weltkrieg im italienischen Strumpfhandel tätig gewesen war. Seit Jahren nicht bespielt. Verwahrlost. Schmutzig. Diese alte Frau will eigentlich mit ihrer Geige eingeäschert werden. Aber sie überlegt es sich anders. Sie kann es kurz vor Toresschluss nicht übers Herz bringen, ihre Geige zu verbrennen und mit in den Himmel zu nehmen.
    Ich hielt mein Glas noch einmal hin. Meine Hand zitterte. »Wo stammt diese Geige her, was denkst du? Wer könnte sie gebaut haben?«
    Â»Deutschland. Österreich. Italien vielleicht.« Adriaan rieb sich übers Gesicht. »Du hast da schon ein feines Ding in den Händen«, sagte er. »Eine der Wahren, glaube ich zumindest. Aber wer sie gebaut haben könnte?« Adriaans Augen glänzten wie Fischgläser.
    Â»Meinst du, dass diese Geige aus Cremona sein könnte?«
    Adriaan lachte. »Wie viel hat sie gekostet?«
    Â»Zweitausend. So viel habe ich jedenfalls geboten.«
    Für das Geld hätte ich mir eine neue Küche anschaffen können. Oder neue Gartenmöbel. Oder ein neues Motorrad für Sjors. Aber Sjors bekam schon genug, und nun eben mal nichts. Es ging ihn gar nichts an, was ich mit meinem Geld machte.
    Adriaans Mundwinkel kräuselten sich. »Du lieber Himmel«, rief er, »den Kerl hast du aber ganz schön übers Ohr gehauen.«
    Ich stand auf. Meine Hände ergriffen die von Adriaan. Schweißtropfen rollten mir über den Rücken. Meine Hände glitten ab. Jetzt erst merkte ich, wie angespannt ich gewesen war. Aber von nun an würde alles anders werden. Alles noch einmal ganz neu, so wie eben, als ich spielte. Ich auch, dachte ich. Ich auch, ganz neu.
    Â»Würdest du mir etwas Schriftliches geben?«, fragte ich Adriaan. »Ein Echtheitszertifikat?«
    Â»Echtheit?«, fragte er.
    Â»Ja. Dass es wirklich eine gute Geige ist. Komm schon, Adriaan, du kannst mir doch was über Italien ­schreiben?«
    Adriaan nahm meine Hände und legte sie auf seinen Oberschenkel. Er schob sie bis zu seinem Hosenschlitz hoch und lehnte sich zurück. Ich spürte die Hitze seines Dings durch den dunkelroten Terlenkastoff.
    Â»Pfui, Adriaan«, lachte ich. »Aus dem Alter bin ich raus.« Aber meine Hände waren schon eifrig zugange.
    Zwei Tage später erhielt ich einen Brief, in dem ­Adriaan mir die Adresse eines Geigenspezialisten in Deutschland mitteilte, eines Mannes, bei dem er in Mittenwald an der Internationalen Geigenbauschule Unterricht gehabt hatte. »Von Wain heißt er«, schrieb Adriaan. »Das letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er Bayern im Streit verlassen hat und nach Norden gezogen ist, in einen Ort am Rhein.«
    Von Wain übe seinen Beruf nicht mehr aus, es habe etwas mit dem Weiterverkauf gestohlener Instrumente, Tratsch und Anschwärzerei zu tun. »Aber glaub mir, er ist immer noch der Alerbeste, den ich kenne«, schrieb Adriaan.
    Darunter stand die Adresse: Kapellenberg 62, Lorch (Rheingau). Und in einem lächerlich langen PS las ich: »Ich werde dir eine Referenz mitgeben, sonst lässt er dich die Geige gar nicht erst aus dem Kasten holen. ­Manche nennen ihn gestört, aber er ist nur ein bisschen ­exzentrisch. Gewinn sein Vertrauen, Liebling. Con spirito.«
    Natürlich war ich enttäuscht. Das wäre jeder.
    Ich bestelle mir noch einen Schnaps bei Annelore. Den letzten, denn ich habe auf dem Freisitz auch schon Wein getrunken.
    Valentine wird wach, als ich ins Zimmer komme. Ihre Stimme klingt verträumt.
    Â»Oh, da bist du ja, Sigi.«
    Â»Natürlich, der Kaffee war herrlich.«
    Â»Schön, dass du wieder da bist.«
    Â»Ja, Tine.«
    Â»Ich hab dich vermisst.«
    Â»Weiß ich, Tine.«
    Â»Ich habe es nicht unfreundlich gemeint vorhin, das schwör ich dir.«
    Â»Nein, Tine, das weiß ich doch. Ich auch nicht. Wir haben einfach beide blöd reagiert.«
    Â»Warum spielst du mir nicht ein Stückchen vor?«, fragt Valentine. »Bitte, Sigi. Nur ganz kurz. Zur Versöhnung. Was von früher. Ein hübsches Liedchen.«
    Ich seufze, gehe zum Kasten, ziehe ihn zwischen dem Schrank und der Wand hervor, stecke den Schlüssel ins Schloss und knipse den Kasten auf. Das rubinrote Innenfutter glänzt mir entgegen. Ich hebe das dunkelgelbe Staubtuch an, das das Instrument bedeckt. Es ist mein Schatz. Ich habe ihn gefunden, ich werde ihn

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