Fallkraut
befürchtet hatte. So eine Brandmarke würde auf alles andere als eine gute Geige hindeuten.«
»Es ist auch kein Etikett drin«, mache ich ihn aufmerksam.
Von Wain schnaubt. »Wie lange spielen Sie schon? Jeder Idiot kann ein Etikett fälschen und in einen Resonanzkörper kleben. Ein Etikett sagt so wenig über diese Geige wie dieses Kunstbein etwas über mich erzählt, auÃer dass ich schnell fahren kann und es manchmal schief geht.«
Von Wain setzt sich wieder an den Tisch und ergreift seine Lupe. »Die Intarsien sind aufgemalt«, sagt er. »Gucken Sie mal.«
Ich nehme die Lupe aus von Wains Händen. »Woran sehen Sie das?«, frage ich.
»An den Jahresringen«, erklärt er. »Wenn Sie genau hinschauen, erkennen Sie, dass die Jahresringe im Holz in einer geraden Linie weiterlaufen. Das bedeutet, dass die Intarsien nicht aus einem neuen Stück Holz sind, sondern aufgemalt, so wie es die Chinesen machen.«
»Und?«
»Das muss nichts heiÃen. Auch das, wiederum, sagt überhaupt nichts.«
»Ich habe Geld dabei«, betone ich noch einmal. »Wenn Sie Geld brauchen â¦Â«
»Bilden Sie sich bloà nichts ein in Ihrem blond gefärbten Kopf«, schnauzt von Wain plötzlich. »Wenn Sie sich ein Urteil kaufen wollen, müssen Sie zu einem anderen Kenner gehen. Zu Fridolin Hamma zum Beispiel. Der sagt bei jedem Instrument, das ihm vorgelegt wird: Was machen wir denn da mal draus, was soll es denn werden, und wie viel zahlen Sie? Haben Sie dafür die Reise nach Lorch unternommen? Ich bitte Sie, machen Sie sich doch nicht verrückt mit Ammenmärchen über Amatis oder Stradivaris, die hinter den Mottenkugeln im Kleiderschrank einer alten Frau auftauchen. So naiv sind Sie doch nicht?«
Brüsk steht der Staubsaugermann auf und hinkt mit der Geige ans andere Ende der Küche. Ehe ich michâs versehe, ist er durch eine Tür verschwunden.
Ich höre, wie im Zimmer nebenan ein Stuhl verschoben wird, eine Leiter klappert, ein Tisch wird verrückt. Dann ist es totenstill. Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Meine Därme blubbern. Ich habe noch nicht gefrühstückt, aber von Wains Gesöff tut seine Wirkung. Ich kneife den Hintern zusammen und zwinge mich, aufrecht zu sitzen, Bauchmuskeln gespannt, Rücken gerade. Ein Lüftchen entfleucht mir, doch nicht einmal das bringt Erleichterung. Was treibt dieser Kerl in seiner Höhle?
Warum bin ich so dumm gewesen, meine Geige allein zu lassen?
Nicht einmal Tine habe ich die Geige gezeigt, und jetzt diesem Wildfremden. SchweiÃtropfen rinnen an der Seite meines Körpers entlang in meine Unterhose. Die Werkstatt von Adriaan, erst jetzt erinnere ich mich, wie wenig Geigen dort hingen. Dass die Werkbank leer war. Wo waren die Kunden? Hatte er überhaupt noch Kunden? Waren sie alle weggelaufen? Hatte er sie verjagt? Warum hingen dort keine Feilen, Hohleisen und Hobel?
Ich sehe Adriaan, seine Hände, sein Lachen, die Flasche Wodka im Schubkasten, die abgewetzten Knie seiner Hose, den glänzenden Kragen seines Hemds, im Flur das Gestell mit leeren Flaschen, und das waren keine Milch- oder Puddingflaschen. Ich weià noch, wie früher bei Adriaan alles picobello und sauber war. Immer in jedem Zimmer frische Blumen, auf dem Klo ein SträuÃchen Lavendel mit einer Schleife darum, und in der Küche stand stets ein Eimer mit verdünntem Chlorwasser bereit zum Händedesinfizieren.
Adriaan trinkt viel zu viel in letzter Zeit. Das sehe ich an den Adern, die sich wie blauviolette Regenwürmer über seine Nase und seine Stirn schlängeln, seinen Augen, zu tief in ihren Höhlen, den Falten in seinem Gesicht. Wenn Adriaan zu viel trinkt, dann wird er geschwätzig. Was weià ich, mit wem er geredet hat? Vielleicht hat er den Staubsaugermann mit seinem scheuÃlichen Kaffee ja vorher angerufen oder ihm geschrieben. Haben sie zu zweit schon alles abgekartet: Das Frauchen schnappen wir uns. Und inzwischen mir gegenüber schön Wetter spielen. Als ob mein Kommen eine komplette Ãberraschung wäre. Als ob ich so ein einfältiger Grünschnabel wäre, der sich seine Juwelengeige für einen Apfel und ein Ei abschwatzen lassen würde. Und die zwei Kerle streichen ihren Gewinn ein.
Mein Aufbruch bei Adriaan. Die Flasche Wodka in seiner Hand, die Lobreden, Schätzchen, Schätzchen, blablabla, hau doch ab, Mann.
Seltsam schaute
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