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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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einer schlichten Küche stehen eine zweiflammige Kochplatte, ein Waschbecken, ein Tisch mit zwei Plastikgartenstühlen und an der Wand ein Schrank mit billigem Geschirr. Der Staubsaugerverkäufer setzt einen Kessel Wasser auf, holt eine Kaffeekanne aus Emaille und streut den Kaffee lose hinein.
    Â»Ich hoffe, Sie haben nichts gegen Türkischen Kaffee«, sagt von Wain. »So trinke ich ihn am liebsten.«
    Â»O nein, wunderbar.« Ich finde Türkischen Kaffee widerlich. Meine Kehle wird ganz trocken davon, und beim letzten Schluck muss ich immer würgen.
    Â»Ich liebe Staubsauger«, sagt der Staubsaugerverkäufer, während er zwei Becher mit Sprüngen auf den Tisch stellt. »Schon seit der erste bei Karstadt herauskam, meine liebe Mutter einen kaufte und damit durchs Haus lief, zog ich singend hinterher. Kam der Sauger zurück in den Schrank unter der Treppe, war der Kummer groß. Tja, damals waren die Gehwerkzeuge noch komplett.« Der Mann reibt über seine Prothese.
    Â»Haben Sie Ihr Bein im Krieg verloren?«, frage ich.
    Von Wain schüttelt den Kopf. »Verkehrsunfall. Vor fünf Jahren. Auf dem Weg von Garmisch-Partenkirchen nach Mittenwald. Ich dachte, ich könnte fliegen, aber ich flog aus der Kurve.«
    Der Staubsaugerverkäufer schlägt so heftig mit der flachen Hand auf den Tisch, dass ich vor Schreck halb aufstehe. »Ich war wie ein Skispringer«, lacht er schrill. »Ich landete auf dem Dach eines Bauernhofs. Ein betrunkener Geigenbauer in seinem Auto auf dem Dach eines Bauernhofs? Das hätte Chagall gemalt haben können.«
    Ich schiebe meinen Stuhl wieder heran. Ich spiele mit dem Löffel der Zuckerdose. Ich kann absolut nicht nachvollziehen, was daran so lustig sein soll. Außerdem mag ich Chagall nicht.
    Der Kessel pfeift, und von Wain steht auf, um Wasser aufzugießen. Jetzt, wo der Mann mir den Rücken zukehrt, fühle ich mich frei, mich umzusehen. Nichts in der Küche oder im Laden erinnert an Geigen oder Musik. Nicht einmal eine Plastik-Büste von Paganini oder Bach. Es ist alles gleichermaßen abgetreten und seelenlos.
    Â»Es sind glänzende Proben des Erfindungsgeistes«, murmele ich von Wains Rücken zu.
    Â»Staubsauger? Oh, gewiss.«
    Von Wain humpelt mit der Kaffeekanne zum Tisch und serviert sein abscheuliches Gebräu. »Zucker?«
    Ich schaufele drei Löffel Zucker in meine Tasse und warte, dass sich der Türkische Kaffee abkühlt. Dann kann ich die Brühe, ohne Luft zu holen, in zwei, drei großen Schlucken hinunterkippen.
    Â»Davon verstehen Sie nichts«, sagt von Wain. Er schlürft an seiner Tasse. »Staubsauger sind raffinierte technische Erfindungen. Aber nicht deshalb bin ich verrückt danach. Es gibt, wissen Sie, eigentlich kaum einen Unterschied zwischen einem Staubsauger und einem …«, er sucht nach Worten, »einem Hund, einer Katze oder sogar einer Geige.«
    Ich blicke auf. Es ist das erste Mal, dass der Staubsaugerverkäufer das Wort Geige in den Mund nimmt.
    Â»Er ist wie ein Lebewesen«, fährt von Wain fort und spitzt die Lippen. »Ja, da staunen Sie, was? Aber denken Sie mal nach: Sind Sie schon mal jemandem begegnet, der beim Saugen nicht mit seinem Staubsauger spricht?«
    Woher soll ich das wissen? Ich bin die Einzige bei uns zu Hause, die das Gerät manchmal aus dem Schrank holt. Ich rede, ich zerre und trete das Ding durch das Haus, ich wettere, während ich durch den Flur gehe, die Teppiche anhebe, mich bücke, um unter die Beistelltische zu kommen, und mir das Sofa vorknöpfe. So eine Zeitverschwendung.
    Â»Es gibt die Beleidigten«, erklärt der Staubsaugermann, »sie schimpfen und treten gegen den Sauger, wenn er an einer Schwelle hängen bleibt oder die Schnur sich unter einer Tür verklemmt. Es gibt die Glücklichen, die singen und schweben mit dem Sauger umher, als ob es ihr Tanzpartner wäre. Und es gibt die Unglücklichen. Die saugen aus Verzweiflung. Sie hoffen, mit dem Saugen Ordnung in das Elend zu bringen. Und vielleicht, vielleicht, so hoffen sie, verschwindet das Unglück ja beim Saugen. Saugen macht sauber, macht alles frisch, verstehen Sie, auch im Kopf.«
    Â»Lieber unglücklich in einem frischen als in einem schmutzigen Haus«, sage ich aus dem Stegreif. Ich atme ein, halte die Luft an und nehme einen Schluck von meinem Kaffee. Ich wende das Gesicht ab, als ich hinunterschlucke.
    Â»Genau.

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