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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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herein, mit ihrem Pass in der einen und einer Plastiktüte in der anderen Hand. Sie hat ihre Sonnenbrille auf. Auf ihrem Rücken hängt der Geigenkasten.
    Â»Ich habe ausgecheckt«, sagt sie.
    Â»Ausgecheckt?« Ich plumpse auf einen Stuhl.
    Sigrid stellt den Kasten auf den Boden und knöpft ihre Jacke auf. »Ich dachte, du hast genug von hier.«
    Â»Aber wir wollten noch zwei Tage bleiben!«
    Â»Du bist doch nicht zufrieden mit dem Hotel?«
    Sigrid setzt ihre Sonnenbrille ab und massiert ihren Nasenrücken. Sie niest.
    Â»Gesundheit«, sage ich automatisch. Ich bücke mich, um einen Papierschnipsel von meinem Pantoffel zu zupfen. »Ich habe mich eigentlich an Annelore gewöhnt.«
    Â»Wir fahren erst morgen. Wir haben noch einen herrlichen langen Tag vor uns.«
    Â»Aber«, das Bild meiner Koffer, die Heimreise mit dem Zug und vor allem mein großes, leeres Haus in Delden flößen mir auf einmal Angst ein. »Wir sind gerade erst angekommen. Wir fahren doch nicht schon wieder zurück?«
    Sigrid sagt: »Hast du andere Pläne?«
    Â»Nein«, sage ich. »Ich will noch nicht nach Hause.«
    Sigrid holt ein Faltblatt aus der Tasche. »Wenn du noch nicht willst, ich bin kurz am Bahnhof vorbeigegangen. Bitte schön, ein Fahrplan. Wir können auch in die andere Richtung fahren.«
    Â»Warum bleiben wir nicht hier?«
    Â»Hier haben wir doch das Schönste gesehen. Wenn du mal in den Reiseführer schauen würdest, den ich von zu Hause mitgebracht habe, würdest du das wissen.«
    Â»Die andere Richtung?«
    Â»Ja«, sagt Sigrid. »Ich habe keine Verpflichtungen zu Hause. Wir können so weit wir wollen. Nach Bayern zum Beispiel oder in den Schwarzwald.« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Im Schwarzwald warst du noch nie. Lauter unbekannte Städte.«
    Â»Nein, da war ich noch nie.«
    Â»Titisee. Der Blauen. Der Feldberg. Berge, die wir besteigen können. Es scheint dort ein einziges großes Wanderparadies zu sein.«
    Mein Ellenbogen juckt.
    Â»Was meinst du?«, fragt Sigrid. Sie hat ihre Jacke an die Garderobe gehängt und geht ins Bad.
    Ich höre Wasser fließen.
    Â»Sag was«, ruft sie. »Fahren wir nach Hause, oder ziehen wir weiter nach Süden?« Sigrid erscheint im Türrahmen mit einem Zahnputzbecher in der Hand. »Weiterziehen?« Sie zwinkert mir zu.
    Â»Ich weiß nicht«, zögere ich. »Der Schwarzwald. Laufen. Ich bin doch nicht so eine Hupfdohle. Die Füße, die Füße spielen nicht mit.«
    Â»Sonst kann man dort nicht viel machen.« Sigrid nimmt einen Schluck Wasser und gurgelt. »Der Schwarzwald ist ein Wanderparadies. Nach jeder Kurve eine neue Aussicht. Berge, die nicht allzu hoch sind, aber dafür steil. Wenn ich wandern will, dann wandere ich. Tun dir die Füße weh, dann schleppe ich dich nicht mit in die Berge. Das musst du einkalkulieren. Findest du nicht schlimm, oder? Du kannst dich gut selbst mal einen Nachmittag vergnügen. Im Hotelzimmer mit einer Zeitschrift oder auf einer Terrasse.«
    Â»Nicht hoch«, erwidere ich. »Da haben wir ja Glück.«
    Â»Sage ich doch«, Sigrid trinkt ihren Becher aus und wischt sich den Mund ab. »Aber ich warne dich: Für den inneren Menschen hat der Schwarzwald wenig zu bieten. Bauern, Wälder, jeden Abend Schweinefleisch.«
    Â»Und Bayern?«, frage ich.
    Â»Auch schön«, antwortet Sigrid. »Wenn es nicht gerade Kufstein oder Neuschwanstein ist. Da bin ich schon zweimal mit dem Orchester gewesen.«
    Es hat angefangen zu regnen. Das Wasser rauscht durch das Fallrohr. Ich muss schon wieder aufs Klo.
    Â»Wir können uns ja was auf halber Strecke suchen«, schlägt Sigrid vor. »Mittenwald zum Beispiel. Das scheint sehr malerisch zu sein und ist genau in der Mitte.«
    Ich höre einen fremden Klang in Sigrids Stimme. »Aber da sind auch Berge«, sage ich vorsichtig, »noch höhere Berge, auf die ich nicht raufkomme.«
    Â»In den Tälern liegen Seen«, sagt Sigrid, »um die man herrliche Rundfahrten mit der Kutsche oder dem Bus machen kann. Außerdem ist, abgesehen von den Bergen, in Mittenwald viel los. Mehr als auf dem Feldberg oder am Titisee. Da kann man sich nur Ruderboote mieten oder durch ein Fernglas die Gipfel ringsum angucken. In Mittenwald werden jeden Sommer Konzerte gegeben, es ist eine Musikstadt, nachmittags und abends finden Auftritte

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