Fallkraut
statt.«
»Woher weiÃt du das?«
»Caravan-Kees hat mir erzählt, dass er mit seiner Frau immer dort campt. Er sagt, dass es wunderschön ist.«
»Aber die sind doch jetzt nicht da, oder? Ich habe keine Lust auf Caravan-Kees und seine Frau.«
»Nein. Dieses Jahr stehen sie am Gardasee.«
»Gott sei Dank.«
»Du willst also am liebsten nach Bayern? Nach Mittenwald?«
Ich nicke. »Mittenwald, was du darüber erzählst, klingt gut.«
Sigrid geht wieder ins Bad.
»Wo warst du eigentlich?«, rufe ich durch die offen stehende Tür. »Warum hast du mich nicht zum Frühstück geweckt?«
»Ich war auf dem Bahnhof«, antwortet Sigrid. »Das habe ich doch gerade gesagt. Du hast noch selig geschlummert. Ich wollte mir in aller Ruhe die Abfahrtszeiten ansehen, und ich dachte, ich lasse dich schlafen. Auf dem Weg zum Bahnhof habe ich uns auch schon etwas Proviant für die Reise besorgt. Gesunde Sachen. Müsli, Apfelsaft und Sesamcracker. Aber auch Sachen, die du gern magst. Kekse, Schokolade und Johannisbeersaft.«
Ich höre die Klospülung.
»Brauchtest du dazu deine Geige?«
Sigrid kommt aus dem Bad. Sie reibt sich die Hände mit Creme ein. »Meine Geige?«, fragt sie. »Ich wollte ein wenig üben, deswegen habe ich sie mit runtergenommen. Annelore hat eine Kammer, wo sie die Bettwäsche aufbewahrt. Da habe ich ein bisschen gefiedelt.«
»Hast du schon gefrühstückt?«
Sigrid schüttelt den Kopf.
»Wollen wir Annelore fragen, ob sie noch was übrig hat?«
»Wir können auch einen Sesamcracker nehmen«, sagt Sigrid, »und dann eine halbe Stunde warten bis zum Mittagessen. AuÃerdem«, sie schaut auf mein Nachthemd, »musst du dich noch anziehen. Und du bist nicht gerade Speedy Gonzales.«
Der sanfte Regen von vorhin hat sich in einen PlatzÂregen verwandelt. Siegfried und Rosamund geben zum Glück Ruhe. Annelore hat sie bestimmt ins Haus geholt. Durch die offene Balkontür strömt kalte Luft herein.
»Ich krieche wieder ins Bett«, sage ich zu Sigrid.
»Siehst du, wie dunkel der Himmel ist?« Sigrid läuft zur Tür, nimmt einen Sesamcracker aus ihrer Tasche.
Dicke, schwere Tropfen. Ich ziehe mir die Decke bis an die Nase.
Wenn ich etwas zu Sigrid sagen will, muss ich die Stimme heben. Die Nebelhörner der Schiffe auf dem Rhein heulen. An verschiedenen Stellen in Lorch gehen Sirenen los.
»Gib mir auch mal einen.« Ich strecke meine Hand aus. »Hast du noch was für drauf?«
»Früher haben wir das so oft gemacht, erinnerst du dich, Tine?«, sagt Sigrid und wirft mir einen kahlen Cracker zu. »Im Sommer, wenn es gewittert hat? Wie wir auf dem Bauch lagen und aus dem Dachfenster schauten und niemand auf der StraÃe war und die ganze Welt uns gehörte?«
»Dir, meinst du«, sage ich kauend. »Du hast mich immer an die Seite gedrängelt, wo ich nichts sehen konnte.«
»Ach, nicht wahr«, lacht Sigrid.
»Das hast du damals auch gesagt! Genau so!« Ich werfe ein Kissen nach Sigrid, verfehle sie aber.
Sigrid hebt das Kissen auf, klopft es aus, läuft zu meinem Bett und setzt sich auf den Rand. Sie gibt mir noch einen Cracker.
»Wir haben schon schön gewohnt, was, Sigi«, seufze ich. »Wenn wir aus dem Wald kamen und unser Dorf mit der Kirche und den Häusern drumherum unten im Tal liegen sahen, dann rannten wir los. Mein Gott, wie wir gerannt sind.«
»Erinnerst du dich an die Kuh, die vom Blitz getroffen wurde?«
Ich nehme noch einen Bissen von meinem Cracker. »Wir haben alle zusammen nach Stücken gesucht. Die Kinder von Hartung und von Federle und wir.«
»Ich fand ein Stück Zunge und du etwas, das aussah wie ein halbes Auge.«
»Das war eine faulende Schnecke.«
»Dieser Junge mit dem Karottenhaar, komm, wie hieà der doch gleich? Wir nannten ihn immer Leuchtturm.«
»Dieter«, sage ich. »Er hieà Dieter.«
»Ja, der. Der zog das groÃe Los. Dieter fand die Hörner, noch völlig intakt, und schenkte sie dir.«
Sigrid piekst mich sanft in die Seite. »Dieterchen war verrückt nach dir.«
»Ach«, kichere ich und nestele an der Bettdecke. »Das hatte nichts zu bedeuten.«
»Was hast du eigentlich mit den Hörnern gemacht?«, fragt Sigrid.
»Gesäubert. Aber nach zwei Wochen musste ich sie doch wegwerfen. Es kamen Würmer
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