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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Adriaan an mir vorbei. Lauernd. Er zerquetschte meine Hand fast, ich fühlte die Knöchelchen knacken. »Stopp«, rief ich, aber ich dachte, dass es von der Erregung darüber käme, was Adriaan entdeckt hatte.
    Wie konnte ich so naiv sein?
    Geigenbauern ist nur selten zu trauen, die verpfeifen sogar ihre besten Freunde, wenn ihnen das mehr Profit einbringt. Und ich mit meinem guten Herzen bin darauf hereingefallen. Ich bin gutgläubig gewesen und nett. Das ist mein Problem. Ich bin zu nett zu den Menschen. Zu gutgläubig. Ich muss mehr auf der Hut sein. Hinter jedem Strauch lauert eine Schlange. Ich muss vorsichtig sein. Nicht alles erzählen. Auch nicht dem Kenner. Nein, Tante Sigrid ist nicht blöd.
    Ich schaue auf die Uhr. Von Wain ist bestimmt schon zehn Minuten da drin. Und hinter der Tür ist es nach wie vor totenstill. Vielleicht gibt es ja noch einen Ausgang. Ist der Vogel ausgeflogen, und ich bleibe mit einem Laden voller klappriger Staubsauger zurück.
    Ich habe das Warten satt und gehe zu der Tür. Sie lässt sich nicht öffnen. Ich klopfe. Keine Antwort. Ich schlage mit der flachen Hand an die Tür, rüttele an der Klinke. »Herr von Wain«, rufe ich, »was tun Sie da? Ich möchte, dass Sie aufmachen. Sofort!«
    Noch immer kommt keine Antwort. Darum stemme ich mich mit aller Macht mit der Schulter gegen die Tür. Langsam schiebt sie sich auf. Durch den Spalt sehe ich den Fuß einer Anlegeleiter.
    Â»Passen Sie auf!«, höre ich von Wain sagen. »Ich stehe hier!«
    Â»Können Sie mir nicht normal antworten?«, rufe ich durch den Spalt. Ich ruckele die Tür weiter auf. »Was treiben Sie da? Kommen Sie von der Leiter runter, damit ich rein kann.«
    Ich höre, wie von Wain mit seiner Prothese die Leiter hinunterpoltert. Ich höre ein schabendes Geräusch. Mit einem ausladenden Schwung werfe ich die Tür auf.
    Da steht von Wain mit einem Buch in der Hand. Die Wangen gerötet, die Stirn durchfurcht. Meine Geige, wo ist meine Geige? Hinten im Raum entdecke ich einen Tisch. Dort liegt das Instrument, der Bogen daneben. Ich stiefele an von Wain vorbei, schnappe mir meine Geige, betrachte sie, streichle sie, lege sie für den Bruchteil einer Sekunde unter mein Kinn. Mein Herzschlag nimmt ab. Dann drehe ich mich zu dem Staubsaugermann um.
    Â»Nun?«, sage ich scharf.
    Â»Was nun?«, von Wain starrt mich durch seine Brillengläser an.
    Â»Versuchen Sie, jemand anderes zum Narren zu halten, aber nicht mich.« Ich stoße die Worte mit so viel Kraft hervor, dass mir die Spucke aus dem Mund fliegt. Ohne von Wains Antwort abzuwarten, gehe ich in die Küche zurück, schraube die Kinnstütze vom Instrument, lege sie in den Kasten, die Geige sorgfältig darüber. Den Bogen klemme ich an seinen Platz im Deckel. Dann schließe ich den Kasten ab.
    Mit dem Instrument laufe ich wieder in das Zimmer. Von Wain steht immer noch stocksteif da mit seinem Buch. Die Wände des Zimmers sind bis zur Decke mit Büchern gefüllt.
    Â»So«, sage ich. Ich nehme von Wain den Band aus der Hand. »Amati, Stradivari, Del Gesu«, lese ich vor. »Interessant. Wieso holen Sie dieses Buch hervor, wo Sie mich doch gerade noch als Idiotin bezeichnet haben, genau wegen dieser Namen?«
    Â»Wissen Sie, wie gefährlich das eben war?«, von Wain wummert mit seiner Prothese auf den Boden. »Sie hätten fast einen Behinderten ums Leben gebracht.«
    Â»Quatsch. Sie antworten nicht auf meine Frage«, sage ich.
    Ich mache mich so lang, dass ich auf Einbein herabblicken kann. »Sie führen etwas im Schilde. Das versuchen Sie mit Ihrem Gefasel über übermaltes Holz …«
    Ich kann meinen Satz nicht beenden, denn von Wain beugt sich vor und fängt an zu zucken. Man hört ein Schniefen, Stöhnen, einen Schluchzer. Der ganze Leib des Klumpfußes zittert.
    Â»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Das muss ausgerechnet mir wieder passieren. Dass ein Geigenbauer durch mich einen epileptischen Anfall oder, noch schlimmer, einen Herzinfarkt erleidet.
    Aber von Wain richtet sich auf. Er hält sich den Bauch vor Lachen. Tränen rollen ihm über die Wangen. Sein Gesicht ist zu einer Grimasse verzogen. Dann endet das Lachen. Von Wain schnauft noch ein wenig, sperrt den Mund auf und rülpst.
    Â»Bei allem Respekt, das gnädige Fräulein hat eine blühende Phantasie.« Er wischt sich mit dem Ärmel seines

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