Fallkraut
raus. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man solches Zeug abkochen muss.«
»Nein«, sagt Sigrid. »Du hattest keine Ahnung.«
DrauÃen hat es aufgehört zu regnen. Türen schlagen. Irgendwo bellt ein Hund. In der Ferne ist ein leises Rauschen zu hören, als ob eine Klospülung nicht richtig gezogen worden wäre und das Wasser immer weiterflieÃt.
»Das ist der Rhein«, sagt Sigrid. »Die Fähre wird wohl für den Rest des Tages festgemacht bleiben. Bei dem vielen Wasser laufen sie nicht aus.«
»Wie normal wir alles fanden, was?«, sage ich. »Wir schlachteten die Hühner selbst und rupften sie. Und wenn Weihnachten war, dann schauten wir zu, wie bei Bauer Kramer die Kaninchen mit einem Knüppel totgeschlagen und gehäutet wurden.«
»Eine Reihe glasiger Kaninchenleiber«, sagt Sigrid, »die an einem Haken im Stall hingen, das fanden wir nicht traurig oder eklig.«
»Hab ich dir das schon erzählt«, ich richte mich auf, »kurz nach Ostern ist vor meinem Haus eine Katze überfahren worden. So, flatsch, mit einem Schlag vollkommen platt. Ich habe den aufgeplatzten Bauch und den kaputten Kopf, ein Auge hing noch an einem Faden dran, vom Pflaster gekratzt. Mir ist so schlecht geworden, dass ich mich fast übergeben musste. Mein ganzes Mittagsbrot kam hoch. Das Zeug war schon in meinem Mund, aber ich konnte es gerade noch rechtzeitig wieder runterschlucken.«
»Ja, das meine ich«, sagt Sigrid. »Der Dreck auf der StraÃe, die Misthaufen an den Zäunen, die stillen Ãrtchen auf dem Hof, die Kloaken, die direkt in den Bach mündeten, und all das Gerümpel, das die Menschen einfach neben sich hinwarfen. Daran waren wir gewöhnt.«
»Es heiÃt, dass die Welt so schmutzig wird durch die vielen Autos und Fabriken, und wenn man den Rhein riecht, weià man, dass kaum noch ein Fisch darin herumschwimmt, aber damals war es auch nicht sauber.«
»Ich finde, der Rhein riecht lecker«, sagt Sigrid.
»Ich auch«, sage ich und ergreife ihre Hand. »Gemütlich, Sigi. Von mir aus darf ruhig alles ein bisschen nach Seife riechen.«
Der Karwendel
11 Sigrid
»Bist du denn gar nicht neugierig darauf, die Gegend zu erkunden?«
DrauÃen ist es grau, nicht nur von den Wolken, sondern auch von den Felsen, die über den Dächern der Häuser in die Luft ragen.
»Der Karwendel«, sage ich. »Der Wetterstein. Und da die Zugspitze.«
Ein Schauer kriecht mir über den Rücken, als ob die bloÃe Erwähnung der Namen dieser Bergmassive in unmittelbarer Nähe ausreichen würde, um die Kälte und die Feuchtigkeit zu spüren, die irgendwo hoch über der Baumgrenze in Schwaden über die Abhänge treiben. Ich höre Bäche, die durch dunkle Wälder flieÃen und in einen Wasserfall münden und eine Kluft, so tief, dass selbst der Teufel sich dort nicht heimisch fühlt. Da laufe ich. Ich taste die speckigen Wände der Klamm ab auf der Suche nach einem Halt, während Steinadler über meinem Kopf verträumt ihre Kreise ziehen. Kein Tier fürchtet sich, aber der Mensch schon. Ein falsch gesetzter FuÃ, ein lockerer Stein, ein Fehlgriff und man kehrt nicht mehr zurück.
»Ich würde es herrlich finden, wenn du mitkommen würdest, Tine.« Ich versuche, nicht flehend zu klingen.
Valentine schlurft in ihrem Morgenrock durch die Hotelsuite. Vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, ins Schlafzimmer und wieder zurück. In ihren Händen Tücher und Töpfchen, Haarnadeln im Mund, Bürste unter dem Arm. »Die Berge laufen nicht weg«, murmelt sie.
»Heb die FüÃe«, sage ich. »Nein, die Berge laufen nicht weg, aber du bald. Dann sitzt du wieder zu Hause hinter den Kochtöpfen ohne etwas Mirakulöses um dich herum.«
Valentine lässt die Kämme, die Nadeln und die Bürste auf den Frisiertisch prasseln. Seufzend schiebt sie einen Stuhl heran. »Man merkt, dass du eine Musikantin bist.«
»Eine Musikerin«, verbessere ich.
»Wie du willst.« Valentine sitzt mit dem Rücken zu mir und wedelt lässig mit der Haarbürste in der Luft. »Immer für alles diese groÃen Worte. âºMirakulösâ¹, âºsublimâ¹ und gerade noch beim Frühstück âºfabulösâ¹. âºEin fabulöses Eiâ¹, hast du gesagt. Dieses Ei kommt ganz normal aus einem Huhn.«
»Prima. Ziehe ich eben allein
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