Fallkraut
los.«
»Und ich leg mich mit der Burda aufs Bett.«
Valentine fängt an zu summen. Etwas nicht Erkennbares.
»Seit wann kannst du nähen?«, frage ich.
»Inspiration für die Wintermode holen. Danach in die Wanne, zwei Löffel Wacholderbeeren ins Wasser. Das regt den Kreislauf an und lindert die Schmerzen in meinen Knöcheln. Ansatz nachfärben, FuÃnägel schneiden.«
»Vergiss nicht, dir die Haare über dem Mund zu zupfen«, sage ich.
»Meine Beine und Achseln rasieren.«
»Und die Bikinizone.«
»Nägel lackieren, Schuhe putzen und anprobieren.«
Was quasselt Valentine da wieder für ein dummes Zeug. Warum begreift sie nicht, dass es eine Sünde ist, den ganzen Tag im Hotelzimmer zu hocken.
Ich nehme meine Regenjacke von der Garderobe. Dann eben kein touristischer Besuch in Mittenwald. Dann eben keine gemeinsame Erkundung, Sahnetörtchen mit Schnaps gegen die Kälte. Sondern sofort an die Arbeit.
Ich muss jemanden finden, der meine Geige untersucht. Eine verlässliche Person. Die mir etwas Schriftliches gibt. So dass dieser unausstehliche Krüske, wenn ich demnächst heimkehre, seinen Ohren nicht traut. Ich irre mich doch nicht? Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Ich muss an ein glückliches Ende glauben. Das tue ich. Habe ich immer getan. Dann wird alles gut. Die Zeitungen und das Radio werden kommen und womöglich auch das deutsche Fernsehen. »Geigerin holt Meistervioline unter dem Staub hervor.« »Niemand glaubte daran, auÃer der böhmischen Konzertmeisterin.« Das werden sie schreiben.
Wenn das Fernsehen kommt, muss ich zum Friseur, einen Termin machen, gleich wenn ich wieder zu Hause bin. Vielleicht sogar mal zur Kosmetikerin.
Dieser Armleuchter von Staubsaugerverkäufer hätte doch irgendwas für mich tun können? Er hätte schreiben können: Sieht interessant aus, würden Sie oder Sie oder Sie das Instrument mal genauer untersuchen? Und wenn es nur eine Adresse gewesen wäre, an die ich mich in Mittenwald wenden kann.
Ich nehme einen Stadtplan vom Tisch und stecke einen Schirm ein.
»Gut«, sage ich zu Valentines Rücken. »Dann gehe ich mal.«
»Tschü-hüss«, sagt Valentine träge und zieht die Bürste wieder durch ihr Haar.
»Wenn du dich nachher langweilst oder einsam fühlst«, warne ich, »ist es nicht meine Schuld. Du kannst es dir noch überlegen. Du weiÃt, wie es ist, allein zu sein.«
»Bist du noch nicht weg?«, fragt Valentine.
»Am Anfang ist es angenehm, aber nach zwei, drei Stunden wird dein Herz trübselig, weil diese Zimmer so leer sind und du mit deinem eigenen Spiegelbild redest. Ich kenne dich. Ich warte noch drei Sekunden.«
Valentine rührt sich noch immer nicht vom Fleck. Da öffne ich die Tür und trete in den Flur.
Ich laufe schnell. Meine rechte Hand gleitet wie eine Ringelnatter über das Treppengeländer, von der dritten in die zweite in die erste Etage, schwenkend, schlängelnd. In Mittenwald gibt es so viel zu sehen, man kann so viele Ausflüge machen. Notfalls ziehe ich jeden Tag allein los. Soll Valentine erfahren, wie toll es ist, allein auf Reisen zu sein.
Stell dir vor, sie würde mal was für mich tun.
»Valentine. Sjors.«
Die Namen schlüpfen mir aus dem Mund.
Ein junges Ehepaar mit einem Sohn, das vor mir die Treppe hinuntergeht, blickt sich erschrocken um.
Ich sage: »Guten Tag auch.«
Sie schauen, als ob ich so eine Kurpatientin wäre, die vor sich hin murmelnd von einer Konditorei zur anderen zuckelt, mit einer Plastiklimoflasche voll untrinkbaren Heilwassers in der Tasche. Aus dem Weg, kann ich vorbei, Rotzlöffel, Platz da, ja danke, schönen Tag, Ihnen auch.
Normalerweise strampele ich die sieben Kilometer von Hengelo zu Valentines Haus in einer knappen halben Stunde, aber damals war ich in einer Viertelstunde da. Valentine mahlte Kaffee in der Küche, sie saà auf einem Hocker, hatte den Rock hochgezogen und sich die Kaffeemühle zwischen die Schenkel geklemmt. Sie drehte an der kupfernen Kurbel, als ob sie unter Hypnose stünde. Das Krrr-krrr-krrr der Bohnen, die zermalmt wurden, erfüllte die Küche.
Ich setzte mich auf die andere Seite des Tisches und schaute Valentine direkt in den Schritt. WeiÃes Oberschenkelfleisch schlabberte über den Gummirand ihrer Strümpfe. Ich sah eine verwaschene Blümchenunterhose, um die herum
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