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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Kittels die Tränen von den Wangen. »Und misstrauisch ist es auch.«
    Â»Vorhersehbar«, fährt er fort. »Wie alle Geiger. Langweilige Leute sind das, Heuchler.« Die letzten Worte spricht er aus, als ob es um eklige Fliegen ginge. »Eure Musikalität ist nur eine dünne Firnisschicht. Unter all diesen adretten schwarzen Kleidern und Anzügen stecken steinerne Herzen und falsche Seelen.«
    Von Wain zeigt mit dem Finger auf mich. »Was ist es bei Ihnen? Ich habe Sie in der Kirche schon danach gefragt. Aber nein, eine ehrliche Antwort kriegt man nicht heraus, ob man nun Geigenbauer ist oder Staubsaugerverkäufer. Warum spielen Sie Geige? Behaupten Sie auch, wie Ihre anderen Kollegen, dass Sie ohne Orchester nichts zustande bringen und dass es das Höchste in Ihrem Leben ist, mit allen zusammen ein schönes Konzert zu geben? Hören Sie auf. Das glaubt doch kein Mensch. Kein Geiger strebt ernsthaft danach. Wer will schon der Abfluss des Orchesters sein?«
    Von Wains stechender Finger zittert. »Sie kommen nicht ohne Grund mit dieser Geige zu mir. Ich frage Sie deshalb noch einmal: Was ist es bei Ihnen? Warum sind Sie hier? Was führt Sie zu einem Staubsaugerverkäufer, der inzwischen mehr Staubsauger in den Händen gehabt hat als Geigen? Sie sind nicht in dieses Kaff gereist, um mit mir meinen scheußlichen Kaffee zu trinken, der noch nicht einmal echt ist.«
    Eine Pause entsteht. Ich kralle meine Finger in den Henkel des Geigenkastens. Fieberhaft suche ich nach einer Antwort. »Warum sind Sie eigentlich in Lorch?«, frage ich so beiläufig wie möglich. »Warum sind Sie aus Mittenwald weggegangen? Ich habe da Geschichten gehört, über Schulden und Echtheitszertifikate, den Verkauf von Geigen, die sich im Nachhinein als wertlos herausgestellt haben.«
    Von Wain antwortet nicht. Er sieht auf einmal müde aus. Er hinkt auf mich zu, nimmt mir das Buch aus den Händen, legt es auf einen Stapel auf einem der übervollen Bretter.
    Â»Sie sind nicht wegen der Musik hier«, sagt er tonlos. »Nicht wegen der Großartigkeit der Brahms-, Schubert- oder Mozartsinfonien.« Er gestikuliert. »Verschwinden Sie mit Ihrer Geige und ihren aufgemalten Intarsien. Ich kann nichts für Sie tun. Aber wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf: Lassen Sie diesen Plan fallen. Kein Geigenbauer von Rang und Namen wird diese Geige als eine echte Strad oder Amati ausweisen, die Namen, nach denen, wie ich weiß, Ihr Herz giert. Und seien Sie ehrlich: Was spielt es für eine Rolle? Es geht um den Klang, um die Musik, die Sie dem Instrument entlocken. Nichts sonst ist von Belang, falls Sie das denken sollten.«
    Von Wain zieht seine Handschuhe aus, krempelt die Ärmel seines Kittels herunter. Ohne ein weiteres Wort geht er aus dem Zimmer, durch die Küche in den Laden. Dort greift er sich einen Staubsauger, wickelt das Kabel ab und steckt den Stecker in die Steckdose.
    Ich laufe hinter ihm her, ziehe ihn am Ärmel: »Dass ich hier gewesen bin, das können Sie mir doch wenigstens aufschreiben? Dass Sie die Geige untersucht haben? Es kann doch ebenso gut ja wie nein heißen? Denken Sie nur an die Werke, die Rembrandt momentan alle Nase lang zu- oder abgeschrieben werden.«
    Aber von Wain drückt auf den Knopf des Miele und macht sich auf die Jagd nach Krümeln und Stäubchen. Er saugt singend. Das Geräusch des Saugers übertönt das Hämmern der Prothese. Er singt dieselbe Sonate von Beethoven wie vorhin und tut, als ob ich Luft wäre.
    Ich knöpfe meine Jacke zu, ziehe den Stecker heraus und sage: »Wenn Sie so gern saubermachen, dann putzen Sie doch auch mal diese schmutzigen Fenster.« Ich gehe.
    Auf der Straße atme ich tief durch. In der Ferne schlägt eine Uhr. Ich zähle die Schläge, elf, Valentine ist bestimmt längst wach. Eilig laufe ich den Kapellenberg hinunter zum Hotel. Alles verschwendete Zeit und Mühe.
    An der Hauptstraße nach Schwalbach zögere ich. Links liegt das Hotel, rechts der Bahnhof. Von dort aus fahren Züge nach Norden und Süden. Und plötzlich setzt sich ein Gedanke an der Innenseite meiner Schädeldecke fest. Ich muss herausfinden, ob es Züge nach Mittenwald gibt und wann. Ich lasse mich nicht von so einem Dorfesel aus Lorch abwimmeln.

10 Valentine
    Auf dem Flur sind Schritte zu hören. Schnell lege ich den Fotoapparat weg. Die Tür schwingt auf, und Sigrid kommt

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