Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
Vom Netzwerk:
sich ein dunkler Schatten abzeichnete.
    Mir wurde kotzübel bei der Vorstellung, dass Sjors zwischen diesen Schenkeln gelegen, seine Zunge herausgestreckt und meiner Schwester an den Stellen Vergnügen bereitet hatte, wo er es bei mir immer zu schmutzig fand. Meine Magensäure fraß sich einen Weg nach oben, und ich legte eine Hand auf meinen Bauch. Die andere steckte ich in den Mund. Ich biss mir auf die Finger­spitzen. Ich nagte an der Hornhaut, die durch das jah­relange Drücken der Geigensaiten entstanden war, an­geschwemmt worden war eigentlich, aber jetzt schaffte ich Ordnung. Meine Fingerspitzen fühlten sich nackt und brennend an. Als ich sie aus dem Mund nahm, tat jede Berührung weh.
    Ich wollte nicht selbst sagen, was ich herausgefunden hatte, als ich aus Versehen eine Rechnung von Sjors aufgerissen und entdeckt hatte, wie viel Geld in Hotels und Restaurants abgebucht wurde. Manchmal überwies Valentine einen kleinen Betrag zurück. Ich wollte, dass Valentine den ersten Schritt macht. Ich wollte, dass sie mich in den Arm nimmt oder, besser noch, auf die Knie fällt, den Kopf in meinen Schoß legt und sagt: »Liebe Sigi, es tut mir so leid. Ich habe einen großen Fehler begangen. Einen großen Fehler. Ich habe es falsch eingeschätzt.« Ich wollte, dass sie sagt, dass es nichts zu bedeuten hätte, dass ich so was nicht verdient hätte, ich, die ich immer für sie da gewesen bin, auch als ganz Twente vor ihr ausspuckte wegen Karels dummer Marschiererei im Krieg.
    Verzeih mir, Sigi. Bitte!
    Liebe Sigi, wie konnte ich nur so dumm sein?
    Ich würde Valentines Tränen durch meine Hose spüren, doch es würde mich nicht ekeln.
    Ich hatte meine Musik, Sjors und Valentine hatten andere Dinge. Aber diese anderen Dinge konnten nicht ewig dauern. Sie mussten aufhören, lieber heute als morgen.
    Und dann kribbelte mir in Valentines Küche die Nase. Ich rieb. Ich fühlte Tropfen rinnen. Sie spritzten auf die Tischplatte. Rot. Meine Nase blutete.
    Â»O Gott«, sagte ich, »meine Nase.«
    Valentine reagierte nicht. Sie mahlte schweigend Kaffee und schaute über meine Schulter hinweg in den Garten. Als ob es nichts zu erklären gäbe, nichts zu erzählen über das Wie und Warum. Sie sagte: »Was für eine dicke Amsel da in der Birke sitzt.«
    Ich wiederholte noch einmal, lauter: »Guck doch mal, ich blute! Hast du ein Tuch oder ein Stück Papier?«
    Da erst wurde Valentine aktiv. »Aber Mädel«, sagte sie und stellte die Kaffeemühle auf den Tisch. Sie lief zur Spüle und holte einen Lappen aus dem Schrank. »Hier«, sagte sie und drückte mir das Tuch auf die Nase. »Nein, rühr dich nicht, sonst kommt noch Blut auf den Fußboden und verdirbt die Fugen meiner Fliesen.«
    Ich schloss die Augen, bog brav den Kopf nach hinten und atmete durch den Mund. Ich musste mein Herz zur Ruhe bringen. Durch die Wimpern sah ich Valentines Gesicht, ihre strahlend blauen Augen, ihre Wangen, zart und rosig, um ihren Mund spielte ein fürsorglicher Zug. Valentine, so mütterlich, so überbesorgt. Aber auch: Valentine, so das Gegenteil.
    Ich springe die letzten zwei Stufen der Treppe hinunter. Mache ich es mir eben selbst schön. Kann ich hervorragend. Tue ich immer. Bin eigentlich die meiste Zeit allein, auch im Orchester. Ich kann meine eigenen Interessen noch so sehr hintanstellen für meine Schüler; ich kann noch so sehr versuchen, es Sjors recht zu machen, es ist nie genug, jeder will immer nur mehr. Im Grunde bleibt doch alles stockduster und mutterseelenallein.
    Â»Weder Kind noch Kegel, das ist das Ende vom Lied.« Sagt Adriaan.
    Â»Na und?« Er und ich stoßen darauf an. Kein Grund, sich zu fürchten. So sterben die Tiere auch.
    Es war eigentlich nicht verwunderlich, dass die beiden einander gefunden hatten, in den Stunden, in denen ich arbeitete. Sjors hatte sich schon mit fünfundfünfzig vorzeitig pensionieren lassen, als er zum zweiten Mal bei der Besetzung der Stelle des Konrektors übergangen worden war. Karel war unter der Erde, und Otto hatte ein Zimmer in Amsterdam. Sjors holte sein Motorrad aus dem Schuppen, wenn ich Probe hatte. Valentine suchte ihren Busfahrschein, und so trafen sie sich.
    In welchem Hotel trafen sie sich eigentlich nicht?
    Erzählen Sie mir bitte, Herr Sjors Fris, in welcher Fickallee lag dieses Hotel noch mal? Und Sie, Frau van Snitten, sollten Sie jemals in

Weitere Kostenlose Bücher