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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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sie mir. Ich werde sagen: »Hören Sie, wie diese Geige klingt. Schauen Sie sich den Lack an. Was macht es schon, dass kein Etikett darin klebt, was sagt schon so ein Etikett?«
    Meine Geige, über die Alpen hinweg, über Pässe, wo Bären und Wölfe lauerten und Erdrutsche Mensch und Tier und Ding in die Schluchten stürzten, aber nicht meine Geige. Meine Geige ist sicher im Tal der Isar angekommen, und hier war sie Teil eines Chors von brillanten Stimmen, bis sie wieder aus der Sicht verschwand, jahrhundertelang.
    Alles wird gut. Mit der Zunahme des Alters ist mein Talent nicht verloren gegangen. Wirklich nicht.
    Jetzt bin ich an der Reihe.
    Das Glück wird mir nicht länger den Rücken zukehren. Das spüre ich.
    Ein guter Handwerker. Ein Geigenbauer.
    Innerhalb von zehn Minuten bin ich durch das Museum durch. Puppen in alten Anzügen, Tische mit verrosteten Feilen und Sägen und Vitrinen, in denen tatsächlich nur ein paar Fiedelbretter mit Saiten hängen. Auf einem Schild in Höhe meines Knies lese ich, dass die Geigen von Klotz und seinen Söhnen einem Museum in München als Dauerleihgabe überlassen wurden. Die guten sind weg. Da bezahle ich vier Mark für diesen Betrug.
    Während ich an der Garderobe auf meine Jacke und meinen Schirm warte, blättere ich in Prospekten über Kutschfahrten und eine gerade eröffnete Seilbahn auf den Karwendel. Dann finde ich eine klebrige Broschüre mit einer Liste von Namen örtlicher Geigenbauer. All diese Namen sagen mir nichts.
    Ich kann doch nicht einfach so beim erstbesten Holzschnitzer vorbeigehen.
    Ich wende das Blatt um und entziffere eine Jahreszahl: Die Broschüre ist vor zehn Jahren geschrieben worden.
    Ich werfe zehn Pfennig in das Schälchen der Garderobenfrau und ziehe meine Jacke an. Als ich mich umdrehe, sehe ich an der Wand neben der Eingangstür des Mu­seums ein Plakat: Staatliche Berufsfach- und Fachschule für Geigenbau. Ich laufe zu dem Plakat hin, schiebe meine Brille hoch und suche die Adresse. Schräg unten steht in winzigen Buchstaben: Partenkirchner Straße.
    Da muss ich hin. Weg aus diesem Trödelladen, ein Klacks, die Straße hinunter, dann nach links, und dann dürfte die Fachschule schon bald rechter Hand liegen.
    Ich steige die Freitreppe hinauf und presse meine Nase gegen das Glas der Tür. Die Schule ist wegen Ferien geschlossen. Aber am Ende des Flurs brennt ein schwaches Licht. Ich drücke auf die Klingel, rüttele am Schloss. Am Ende des Flurs bewegt sich etwas, eine massige, watschelnde Gestalt. Ein Riegel wird zur Seite geschoben.
    Â»Was wollen Sie?«, schnauzt eine Frau.
    Â»Guten Tag«, rufe ich durch den Türspalt. Es ist nicht nötig, Unhöflichkeit mit Unhöflichkeit zu vergelten. »Mein Name ist Sigrid Raffelsberger, und ich brauche einen Rat.«
    Â»Die Schule ist geschlossen.«
    Â»Bitte!«, sage ich.
    Die Frau brummt etwas Undeutliches zurück.
    Ich setze meinen Fuß in die Tür. »Ich weiß, dass Ferien sind. Ich komme auch nicht wegen irgendeiner ­Kleinigkeit. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit.«
    Â»Wir haben zu«, bellt die Frau.
    Ich rüttele.
    Die Frau stemmt sich dagegen. Ich höre ein Hüsteln, ein Räuspern, ein lauteres Hüsteln, ein Röcheln, das von heftigem Husten abgelöst wird.
    Â»Geht’s?«, frage ich.
    Ein noch lauteres Husten ertönt.
    Â»Brauchen Sie Hilfe?«
    Auf der anderen Seite ist ein Fiepen zu vernehmen. Die Tür schwingt nun leicht auf, und ich sehe einen Kopf, so rot wie Mangold, Augen, die tränen, eine Hand, die nach einem Busen greift.
    Â»Ganz ruhig«, sage ich und klopfe der Frau auf den Rücken. »So komisch ist meine Frage nicht, Sie brauchen deshalb doch nicht gleich so aus der Fassung zu geraten. Soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser holen?« Ich schaue mich um, sehe aber nirgends ein Toilettenschild. Dafür eine große Schultafel mit den Namen abwesender Dozenten. Alle sind abwesend.
    Â»Bloß kein Wasser«, keucht die Frau. »Dagegen bin ich allergisch.« Sie beugt sich vor. Ein neuer Hustenanfall jagt durch den Flur.
    Ich klopfe ihr kräftiger auf den Rücken. »Nur zu«, sage ich, »der Schleim muss raus.«
    Die Frau würgt.
    Â»Nehmen Sie die Hand vor den Mund«, sage ich. »So, ja. Wegen der Tropfen und Spritzer.« Auf dem Fensterbrett steht eine Pflanze. Ich schnappe mir den Topf

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