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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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hereinlassen«, sagt Valentine, »in die Spülküche zum Beispiel. Da können sie sich aufwärmen und eine Tasse Kaffee trinken.«
    Â»Was wollen Sie von diesem von Gönnen?«, fragt der Mann.
    Â»Ich habe eine Geige«, sage ich, »die er sich mal an­sehen soll. Wissen Sie wirklich nicht, wohin er gegangen ist?« Ich versuche, nicht zu begierig zu klingen. »Hat er eine Adresse hinterlassen oder eine Telefonnummer?«
    Der Mann entblößt lachend ein krummes und schiefes Gebiss. »Das Einzige, was der feine Herr hinterlassen hat, ist ein Garten voller leerer Tomaten- und Gulaschsuppendosen. Da musste die Stadtreinigung ran.«
    Â»Es muss doch Post geben, die weitergeleitet wird? Steuerbescheide, Lohnstreifen. Gibt es keine Kollegen, die vorbeischauen?«
    Â»Der Kerl machte doch keinen Handschlag. Hatte keine Kollegen. Lebte von der Stütze.«
    Der Mann zieht noch einmal an seiner Zigarette, drückt die Kippe unter seinem Badelatsch aus und wirft sie auf die Matte vor von Gönnens Haus. »So«, sagt er, »wenn die Damen mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe noch anderes zu tun. Ich habe keine Ahnung, wo der Bursche hin ist.«
    Auf dem Rückweg zur »Alpenrose« humpele ich. Meine Arme fühlen sich an, als ob jemand stundenlang draufgeboxt hätte. Meine Handtasche kommt mir bleischwer vor, obwohl sich nur ein Lippenstift und eine Börse mit Kleingeld darin befinden.
    Ich kann zur Geigenbauschule zurückgehen.
    Ich kann wieder im Büro des Herrn Direktors Platz nehmen. Um eine andere Adresse betteln. Höflich bleiben. Meine Geige mitnehmen. Dem Herrn Direktor zeigen, dass es mir ernst ist.
    Der Mann hat mich gestern angelogen, und es gibt keinen einzigen Grund, warum er es heute nicht wieder tun sollte. Er hat mich mit Versprechungen abgespeist. Mit Riesenversprechungen.
    Â»Was sagst du?«, fragt Valentine.
    Â»Nichts«, antworte ich. Jedes Wort, das ich sage, würde falsch aufgefasst werden.
    Im Tal der Isar, deren Wasser nach Fisch riecht durch den Regen der vergangenen Tage, wird meine Spur undeutlich. Bis Mittenwald ist mein Blick scharf gewesen wie ein frischer Hirschabdruck im Schnee. Von dem Zigeuner an meiner Tür ging es direkt zu Adriaan in Bent­heim. Danach zu dem Staubsaugerverkäufer am Rhein und von dort hierher. Ich habe so viel Mut gehabt, so viel Hoffnung. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, ob der Weg nach links oder rechts abbiegt, oder ob ich einfach geradeaus weitergehen muss. Ich suche nach einem Ring in einem Zelt, dessen Stangen herausgezogen worden sind.
    Â»Ich finde es nur komisch«, höre ich Valentine sagen, »dass du deine Geige untersuchen lassen willst. Hat sie einen Riss im Bauch, oder ist eine Saite gesprungen? Man wird in Mittenwald doch Saiten kaufen können? Und du wirst wohl noch selbst in der Lage sein, eine aufzuziehen und zu stimmen?«
    Soll ich nach Hengelo zurückfahren?
    Mich schaudert bei dem Gedanken, obwohl die Sonne inzwischen strahlt und die Wolken hoch über den höchsten Gipfeln der Berge treiben. Wer will mir in Hengelo schon zuhören? Wirklich zuhören?
    Caravan-Kees ins Vertrauen ziehen?
    Hinter meinem Rücken lacht Caravan-Kees sich schlapp und erzählt den Kollegen: »Ich habe extra noch zu ihr gesagt: Es sind die Zeiten, die sich ändern, und der Geschmack ändert sich mit. Krüske ist jung. Was wir früher virtuos fanden, gilt jetzt als altmodisch. Niemand will doch heute mehr wie der alte Kreisler klingen? Aber nun ja, diese van Raffelsberger, immer starrköpfig, was, die muss unbedingt Kreisler nachahmen.«
    Zu Weiss gehen?
    Weiss ist ein Zigeuner. Weiss, der die Zunge um seinen Backenzahn ringelt und dann so ein saugendes Geräusch macht, als ob er mich zu ergründen versuche. »Nö«, wird er sagen, »ich weiß nicht, von wem du redest. Ein Kerl aus Dresden, den ich zu dir geschickt habe? Mit einer Geige? Kann ich mich nicht erinnern.« Er wird mir auf die Schulter hauen und meinen Protest ersticken. »Komm, du schöne Konzertmeisterin, nehmen wir einen Schnaps.« Da habe ich einen Scheißdreck davon.
    Adriaan?
    Der Schlag soll ihn treffen. Adriaan hat die Flamme der Hoffnung entfacht und so schöne Dinge gesagt, dass ich angefangen habe, an meine Queste zu glauben. Daran, dass sich die ganze Mühe lohnt. Dass meine Geige aus den Händen der Großmeister stammt, vielleicht sogar in Cremona

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